Die 45-minütige Dokumentation „Tod vor Lampedusa“ berührt. Das erkennt man in den Gesichtern derer, die der Einladung der Amnesty Hochschulgruppe und der Asyl Hochschulgruppe aus Dortmund gefolgt sind, um sich über die europäische Flüchtlingspolitik und den Umgang mit Asylsuchenden zu informieren. Viele junge Leute sind unter den Besuchern, die kaum nachvollziehen können, wie bei dem Unglück vor Lampedusa so viele Menschen ums Leben kommen konnten und warum die europäische Politik so ist, wie sie ist.
Die zwischen Tunesien und Sizilien gelegene Insel Lampedusa ist für viele Menschen mittlerweile zum Synonym einer verfehlten europäischen Einwanderungspolitik geworden. Zwei Auffanglager befinden sich auf der kleinen Insel mit ihren circa 5000 Einwohnern. An guten Tagen sind genügend Kapazitäten vorhanden, um die Flüchtlinge ausreichend zu versorgen und ihnen bei den ersten Schritten auf europäischem Boden zu helfen. An anderen Tagen jedoch platzen die Lager aus allen Nähten, denn immer mehr Menschen aus Ländern wie Eritrea, das zu den fünf Hauptländern der Einwanderung gehört, suchen Sicherheit in Europa.
Hilfe von der EU bekommt die Insel Lampedusa so gut wie keine. Es sind Menschenrechtsorganisationen, die täglich vor Ort zusammen mit den circa 5000 Einwohnern um das Leben Tausender Flüchtlinge und Asylsuchender kämpfen. Menschenhändler und Schlepperbanden sind es, die versprechen, die Verzweifelten nach Europa zu bringen. Da liegen bereits viele Kilometer voller Angst und Folterungen hinter den Flüchtenden. Auf dem Weg vom Sudan nach Ägypten, so erzählt der Film, kreuzen Beduinen die Fluchtwege.
So auch den Weg Dawits, der 2013 aus dem Polizeitstaat Eritrea flieht, um nach Europa zu gelangen. Die Beduinen haben ein gutes Geschäft mit den schutzlosen Flüchtlingen erkannt. So foltern und erpressen sie oft Lösegeld von den daheimgebliebenen Familienangehörigen. Teilweise sind es bis zu 40.000 Dollar, die die Familien bereitwillig zahlen, um die Freiheit eines flüchtigen Familienangehörigen zurückzukaufen.
Dawit hat überlebt. Er hat den Folterungen und auch dem Gefängnisaufenthalt in Ägypten standgehalten. Selbst den gefährlichen Weg durch die Sahara und die Kontrollen der libyschen Sicherheitsleute hat er überlebt.
Tripolis. Von hier beginnt die letzte Etappe der Flucht. Es ist einer der schwierigsten Wege, die die Flüchtlinge überstehen müssen. Die Wenigsten überleben die auf größtenteils seeuntauglichen Booten organisierte Reise über die europäische Grenze. Libysche Patrouillen kontrollieren den Grenzstreifen, nehmen illegale Flüchtlinge gefangen. Doch Dawit hat Glück. Nichts von alledem passiert, als er auf dem Weg Richtung Italien ist. Trotzdem wird er diesen Tag wohl nie mehr vergessen.
Es ist der 3. Oktober 2013. Kurz vor Lampedusa kentert das Boot, in dem Dawit sitzt. Stundenlang wartet er im Wasser auf Hilfe. Als sie endlich kommt, ist es für knapp 400 Flüchtlinge bereits zu spät. Dawit ist einer der wenigen Überlebenden. Er ist in Europa angekommen, doch zu welchem Preis? In Frankfurt hat er sich mittlerweile ein neues Leben aufgebaut. Aber nicht nur angesichts seines Beispiels bleibt das Unverständnis. Darüber, wie es zu diesem Unglück kommen konnte, warum so viele Menschen, die in Europa Sicherheit und Schutz suchen, sterben, nicht nur damals, im Oktober 2013, sondern fast täglich.
Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des NRW-Flüchtlingsrates, hat dafür eine einfache, wenn auch erschütternde Erklärung. Der europäischen Politik geht es zu allererst um die Kontrolle, wer überhaupt nach Europa kommt. Die Einsicht, so erklärt Naujoks, sei immer noch nicht da, dass es tatsächlich um Menschen gehe. Dabei sei es gerade die EU, die in der Pflicht stehe, eine gute Einwanderungspolitik zu betreiben, denn sie feiere sich schließlich als „Raum des Friedens“. In der Diskussion mit Amnesty International-Vertreter Christoph Alberts wird auch die Situation in Deutschland deutlich, wo ein „Prinzip der Abschreckung“ vorherrscht. Die Flüchtlingszahl in Deutschland wächst und Investitionen, die die Kommunen für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge machen, erfordern Einsparungen für oftmals dringend notwendige Stadtsanierungen. Das schürt natürlich den Unmut der Bevölkerung und drängt die deutsche Politik in eine Haltung, in der lieber die Augen verschlossen werden, anstatt Probleme anzupacken.
Jetzt und in Zukunft, so Naujoks, muss sich die EU und auch Deutschland ihrer Rolle in der Asyl- und Flüchtlingspolitik bewusst werden. Es gehe ganz konkret um die direkte Unterstützung und Hilfe der in Europa Ankommenden. Doch man müsse auch erkennen, erklärt die Geschäftsführerin des NRW-Flüchtlingsrates, dass „Quotenregelungen Menschen nicht aufhalten“, sodass die Frage nach einer gerechten Verteilung der Asylsuchenden auf die europäischen Länder mit Vorsicht genossen werden sollte. Auch das derzeit eingesetzte Dublin-Verfahren, das europäischen Grenzgebieten wie Lampedusa die alleinige Verantwortung für die Asylsuchenden überträgt, trägt nicht dazu bei, die europäische Flüchtlingspolitik in die richtigen Bahnen zu lenken. Überforderung und fehlende Kapazitäten in den entsprechenden Ländern führen zu Unglücken wie das in Lampedusa, drängen die Asylsuchenden in den Status von Obdachlosen und setzten sie Übergriffen und schlimmster Armut aus.
Es gibt viel zu tun für Europa. Nach dem Unglück in Lampedusa hat sich nicht viel geändert. Doch es hilft nichts, die Augen zu verschließen. Europa muss zusammenarbeiten, Verantwortung übernehmen und an Lösungen arbeiten, die nicht auf rein wirtschaftlicher Ebene angesiedelt sind.
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