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Recht unruhig und ganz still

30. September 2010

Lichtkunst und Ausstellungen in Duisburg, Bottrop und Kleve - RuhrKunst 10/10

Die vergangenen Wochen waren die des bewegten Lichtes, der elektronischen Sensationen im Ruhrgebiet. Mit ihren Installationen im Außenraum übertrafen die „Ruhrlights“, die jetzt zu Ende gingen, die gut gemeinte Lichtkunstbiennale vor einem halben Jahr. Auch die ISEA, die Ende August erstmals in Deutschland stattfand, bot Lichtarbeiten auf. Zentrum dieser internationalen (Fach-) Konferenz für Elektronische Kunst war Dortmund mit den Klubkonzerten und den Ausstellungen im Dortmunder U; Trägerinstitution der ISEA war der Hartware MedienKunstVerein. Auf dem Areal der Essener Zeche Zollverein aber fand der Eröffnungsabend statt u.a. mit einer Performance von Xavier le Roy, dem sein Körper dafür reichte. Und Höhepunkt des Schlusstages in Duisburg-Ruhrort war ein betörend intensives Orgelkonzert mit Charlemagne Palestine in der Maximiliankirche, bestehend aus Tonschichtungen, die ein zeitloses Kontinuum erzeugten. Daran schloss sich in den Grünanlagen auf der Mühlenweide eine Lichtinszenierung von Siegrun Appelt an. Drei programmierte, langsam kreisende Scheinwerfer warfen eine gleißende Schneise in die Dunkelheit der grünen Wiese mit ihren Bäumen und Büschen. Vor Ort wirkte das zunächst ereignisarm. Erst allmählich merkte man, dass man sich selbst in das erleuchtete Areal und aus diesem heraus bewegen musste. Es war nicht die Technik, die das Kunstwerk ausmachte und den Blick für die Umgebung schärfte, sondern die eigene Aktivität. Der Titel dieser Arbeit, „Reale Formulierungen (Ruhrort)“, brachte auf den Punkt, was man hier sah.

VIEL LICHT IN DUISBURG

Siegrun Appelt gehört auch zu den Künstlern, die zu „Ruhrlights: Twilight Zone“ eingeladen wurden, dem Lichtkunstfestival an den Ufern der Ruhr zwischen Dortmund und Duisburg. Die Ruhr wurde mit den Maßnahmen des Lichtes als neuer urbaner Raum definiert, der zum Teil erst in den letzten Jahren erschlossen worden ist. In Duisburg erzeugten Künstler wie Peter Kogler, Yves Netzhammer und Xavier de Richemont u.a. ein immaterielles leuchtendes Netz über der Uferpromenade des Innenhafens und Projektionen auf der Hauptfassade der Salvatorkirche. Zwischen Aneignung hin zur Identität und einer zelebrierten Fremdheit schafften die Projekte eine Atmosphäre, die für die Eigenarten der Orte sensibilisiert. – Natürlich tragen Licht und Laser im großen Stil immer etwas von Event, auch oder weil dies die vergänglichste Form bildender Kunst ist. Ein bisschen viel Licht war’s trotzdem.
Die gleiche Stadt, etwas später. Wie eine Verdichtung der vorausgegangenen Festivals wirkt die Video- und Soundinstallation, die der Düsseldorfer Medienkünstler Stefan Hoderlein in einem Raum im LehmbruckMuseum eingerichtet hat. Hoderlein, der 1960 geboren wurde und in Düsseldorf bei Nam June Paik und Bernd Becher studiert hat, ist Techno- und Rave-Anhänger der ersten Stunde. Mit der Erfahrung von zweieinhalb Jahrzehnten reflektieren seine Arbeiten die Rituale, den prekären Status und den Rausch von Techno, dem er sich auch selbst immer wieder lustvoll aussetzt. Stefan Hoderlein ist ein Künstler für Künstler, intuitiv, idealistisch und bis ins Detail kompromisslos. In Duisburg sind auf unterschiedlich großen Videoprojektionen etliche Sequenzen mit ihm gleichzeitig zu sehen: in alltäglichen Handlungen, umfangen vom Sound als erlebtem Hintergrundrauschen. Die Installation ist exemplarisches Tagebuch mit den adäquaten Mitteln.
Nun findet diese Ausstellung in Duisburg statt, wo sich die Katastrophe der Loveparade ereignet hat. Abgesehen davon, dass Raimund Stecker, der Direktor des LehmbruckMuseums, das Werk von Stefan Hoderlein seit vielen Jahren kennt und in seiner Ernsthaftigkeit einschätzen kann, versteht sich diese Ausstellung für Stecker als „eine Hommage an die Rave-Kultur, eine ästhetisch überzeugende Antwort auf die Frage, wie das LehmbruckMuseum künstlerisch auf das Unglück während der Loveparade reagieren kann“ (zit. Pressemitteilung).

VOLLKOMMENE STILLE

Eine andere Möglichkeit wäre die Stille im Sinne von innerer Sammlung als zeitloses Kontinuum – und nirgendwo ist sie mehr zu Hause als im Josef Albers Museum in Bottrop. Dort ist zum ersten Mal seit einem Vierteljahrhundert in Europa eine Ausstellung mit Ad Reinhardt zu sehen: eine Sensation! Tatsächlich widmet sie sich einem der letzten unerschlossenen Terrains der Kunst des 20. Jahrhunderts.
Dem amerikanischen Maler und Kunsttheoretiker Ad Reinhardt (1913-1967) ging es von Anfang an um die Farbe selbst; seine Malerei ist gegenstandsfrei, zeigt nichts außer Farbe in primären Formen und meint auch nichts außerhalb des Bildes. Ja, 1952 verfasste er das Manifest „Art As Art“, in dem er die strikte Trennung von Lebenssphäre und Kunst fordert. Seine Malereien nun gliedern das Bildfeld durch Raster. Um 1950 beschränken sie sich auf einen einzigen Grundton, unterteilt zwar noch in Felder, aber so fein gestuft, dass nur das Auge die Nuancen wahrnimmt. So entstehen die „blauen“ und die „roten“ Bilder, mit denen das Hauptwerk Reinhardts beginnt, das nun also in Bottrop ausgestellt ist. Um 1953 malt Reinhardt seine ersten „schwarzen“ Bilder, die noch Grün, Rot und Blau enthalten. 1960 trifft er dann die grundlegende Entscheidung, nicht nur das Bildmaß und die Aufteilung in neun gleiche Quadrate vorzugeben, sondern auch die Ausschließlichkeit des Schwarz‘: „Farbe und Form sind bis an der Grenze der Auflösung getrieben“ (Museum Quadrat Bottrop). Diese geheimnisvollen, aber nur vermeintlich abweisenden Bilder bilden den Höhepunkt der jetzigen Schau. Vergleichend sind noch Arbeiten von Josef Albers, dem berühmten, aus Bottrop stammenden Maler ausgestellt, die weiteres über die Rolle der Farbe vermitteln und verdeutlichen.
Ein Glücksfall ist, dass zeitgleich, wenn auch etwas entfernt, am Niederrhein eine Ausstellung mit Ulrich Erben stattfindet, einem der aktuell wichtigsten „fundamentalen“ Maler, der sich auf Farben und ihre Organisation konzentriert. Bei allem Zweifelhaften einer Vergleichbarkeit (infolge der unterschiedlichen Generation, Herkunft, Kunstkontexte etc.): In dem, was zu sehen ist, sind Reinhardt und Erben verwandt. Auch Erben schichtet Farben und Flächen und handelt mit Nuancen und feinsten Überlagerungen und lässt sich genauso der Farbfeldmalerei zuordnen. Jedoch sind seine Malereien inspiriert von realen Seherlebnissen außerhalb des Ateliers. Seine Serie „SIRIA“, die das Museum Kurhaus Kleve nun zu seinem 70. Geburtstag zeigt, bezieht sich auf eine Reise nach Syrien. In überlebensgroße Hochformate ist ein ebenfalls rechteckiges, leuchtend monochromes Innenfeld gesetzt. Dabei erreichen diese Bilder eine immense Lichtintensität, zurückgehend auf die Sensationen in der Wüste, das „Zusammenspiel von Farben, Licht, Luft und Stille in einer immer ähnlich gegliederten, sehr monotonen Landschaft“ (U. Erben). Erschließen aber lassen sich die Bilder beider Künstler im letzten nicht. Beschreiben kaum. Man muss sie sehen.

EIN RADIKALER EINZELGÄNGER

In Duisburg ragt derzeit noch eine weitere Ausstellung heraus, im Museum Küppersmühle mit dem expressiv gestischen Maler Walter Stöhrer. Walter Stöhrer (1937-2000) lässt keine Zweifel daran, dass er Malerei ganz anders als seine Kollegen in Bottrop und Kleve versteht und die Reibungen zwischen seiner inneren Verfasstheit und der Außenwelt auf der Leinwand austragen muss. Und hat die Malerei von Ad Reinhardt etwas Verschwiegenes und ist die Malerei von Ulrich Erben ein konzentrierter Nachklang auf der Netzhaut, so verhält sich Stöhrer in seinen oft riesigen Bildern exhibitionistisch und exzessiv. Die Farbe fließt in Strömen und wechselt die Richtung, immer wieder dominiert ein leuchtendes Rot. Als ein Motiv seiner Bildserien dient Stöhrer die Literatur vor allem der Symbolisten und Surrealisten. In seiner Malerei tauchen dazu noch Kopffüßler und Strichgesichter auf, aber ohne das Bildgeschehen zu dominieren. Die Perspektive kippt, und die Wahrnehmung entgleitet, alles ist gleich gewichtig, und natürlich ist Stöhrer in seinen Bildern überaus präsent. – Und vielleicht hilft auch dieser Vergleich weiter: In seiner Duisburger Videoinstallation überträgt Stefan Hoderlein eine Malerei, wie sie Walter Stöhrer entwickelt hat, mit bewegten Bildern und mit Sound in die heutige Gegenwart, leidenschaftlich und vielleicht auch als Bewältigung aller Vergänglichkeit.

Thomas Hirsch
Thomas Hirsch ist Kunsthistoriker, Kurator und Journalist.





Stefan Hoderlein – 1989-2010 – Home Is Where The Heart Is I bis Anfang 2011 im LehmbruckMuseum in Duisburg I www.lehmbruckmuseum.de

Ad Reinhardt – Letzte Bilder I bis 9. Januar im Josef Albers Museum Bottrop www.quadrat-bottrop.de

Ulrich Erben – SIRIA I bis 24. Oktober im Museum Kurhaus Kleve
www.museumurhaus.de

Walter Stöhrer – Kraftfelder I bis 5. Dezember im Museum Küppersmühle in Duisburg I www.museum-kueppersmuehle.de

Thomas Hirsch

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