Israelfahnen wehen an der Jahrhunderthalle und AktivistInnen halten Schilder mit Apartheid-Vorwürfen. Andere haben sich gleich in die blau-weißen Nationalfahnen eingewickelt, als ginge es zum Fußball-Public-Viewing. Ja, die Einladung der Ruhrtriennale zog bereits vor Beginn der Podiumsdiskussion eine starke Polarisierung nach sich: Zum einen wenige SympathisantInnen von BDS, der Kampagne „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“ gegen den Staat Israel. Zum anderen viele GegnerInnen. Der Rest drängte an den langen Warteschlangen vor der Turbinenhalle.
Anlass der Kontroverse ist das Wirrwarr um die schottische Hip-Hop-Band „Young Fathers“, die mit der BDS-„Bewegung“ sympathisiert. Die Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp hatte die Musiker erst ein, später aus-, schließlich wieder eingeladen. Am Ende sagte die Band selbst ab. Aber das vom Land NRW mit 13 Millionen finanzierte Hochkulturfestival hatte nun einen Eklat: KünstlerInnen meldeten sich in offenen Briefen zu Wort, NRWs Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) blieb dem prestigeträchtigen Festival ganz fern – ein Novum in der 16-jährigen Geschichte der Ruhrtriennale.
Antisemitismus-Vorwürfe gegen Carp sowie Rücktrittsforderungen wurden den Sommer über immer wieder laut. Unter Druck lud die Intendantin nun zu der Veranstaltung „Freedom of Speech/ Freiheit der Künste“ ein. Auf dem Podium saßen neben Carp die NRW-Ministerin für Kultur und Wissenschaft, Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos), Michael Vesper (Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer der Ruhrtriennale), der amerikanische Komponist Eliott Sharp, die belgische Dramaturgin Hildegard De Vuyst und der Künstler Schorsch Kamerun, der mit der Produktion „Nordstadt Phantasien“ auf der diesjährigen Ruhrtriennale vertreten ist. Der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert moderierte die Debatte souverän. Und das war auch notwendig bei der hitzigen Atmosphäre unter den rund 500 BesucherInnen. Carp hatte das erste Wort, musste allerdings gegen viele Zwischenrufe aus dem Publikum anreden. „Kann man sagen, dass eine Band, die dieses Netzwerk unterstützt, antisemitisch ist?“, fragte die Intendantin. Tatsächlich traten die „Young Fathers“ auch bei den Münchener Kammerspielen auf oder zierten jüngst das Cover des Musikmagazins „Spex“. Beschwert hatte sich darüber niemand. Carp erntet an diesem Nachmittag jedoch Buh-Rufe. Viel Neues erzählte die langjährige Dramaturgin von Theaterregisseur Christoph Marthaler nicht. Es blieben die Argumente ihres bisherigen, umstrittenen Krisenmanagements. Nach dem Motto: Freiheit der Kunst, alles nur Kunst. Politik? Von nichts gewusst. So gesteht sie noch auf dem Podium, von BDS nie etwas gehört zu haben. In Berlin nutzte das Netzwerk jedoch bereits im letzten Jahr medienwirksam das Popfestival für eigene Inhalte.
Gefragt nach Fehlern in der künstlerischen Leitung räumte Carp rückblickend ein: „Der Fehler war, die ‚Young Fathers‘ überhaupt ausgeladen zu haben.“ Ein Raunen geht durch den Saal. Die Intendantin sagt allerdings auch, was viele von ihr hören wollten: „Selbstverständlich stelle ich mit keiner Sekunde das Existenzrecht Israels in Frage. Für mich als Deutsche ist das eine Selbstverständlichkeit.“ In einer Anhörung des Kulturausschusses des Landtages hatte sich Carp zu dieser Sache noch missverständlich geäußert.
Pfeiffer-Poensgen legte gleich nach: „Wenn zum Boykott Israels aufgerufen wird, sind für mich die Grenzen klar überschritten. BDS light gibt es nicht.“ Solche identitätspolitischen Argumente gab es in der Debatte oft zu hören. Sie prallten fast wie Blasen aufeinander. So stießen die Vorträge der beiden BDS-SympathisantInnen Sharp und De Vuyst auf laute Missgunst. Als etwa Vesper BDS mit der faschistischen Vergangenheit in Deutschland konfrontierte, hakte De Vuyst nach: „Muss man als Deutscher eine Ausnahme in der internationalen Beurteilung des ungesetzlichen Verhaltens von Israel sein?“ Auch Sharp verteidigte das Netzwerk als „gewaltfreies Instrument“, mit dem zivilgesellschaftlicher Druck auf Israel ausgeübt werden könne. Bereits im Vorfeld der Diskussion wurde eine gewisse BDS-Dominanz auf dem Podium beklagt. Vielleicht nahm deswegen Schorsch Kamerum so kurzfristig mit Platz. Und der Hamburger hielt dagegen: „BDS instrumentalisiert Künstler.“
Noch kurzfristiger hielt der israelische Filmemacher und BDS-Aktivist Udi Aloni seine Ansichten vor: Norbert Lammert fragte De Vuyst, warum BDS nur Israel und nicht ebenso andere Staaten boykottiere. Daraufhin räumte die belgische Dramaturgin ihren Platz für Aloni. Der holte zu einer scharfen Kritik an die Politik seines Landes aus. Und ging nach wenigen Sätzen in den Buhrufen unter. Bis er das Podium wieder verließ. Viele im Saal wollten das nicht hören. Sharp mahnte später: „Zuhören ist die Lösung.“ Gehör fand das nicht. So blieb es an diesem Nachmittag bei Dissens. Begleitet von lauten Zwischenrufen.
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