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Luc Delahaye, US Bombing on Taliban Positions, 2001, digitaler C-Print, 112 x 239 cm
© Luc Delahaye, courtesy Nathalie Obadia, Paris/Brüssel

Spuren der Verwüstung

28. Mai 2015

„Conflict, Time, Photography“ im Museum Folkwang in Essen – kunst & gut 06/15

Wie lange hält die Erinnerung an den Krieg? Welche Rolle spielt die Zeit für die Emotion? Ist Tod ohne Tote darstellbar? Die Ausstellung, die derzeit im Museum Folkwang zu sehen ist, wirft solche Fragen auf. Gezeigt werden einzelne fotografische Bilder und fotografische Serien von 1854 bis heute, die die Folgen kriegerischer Aktivitäten festhalten, aufgenommen direkt danach, aber genauso nach längerer Zeit, ja, Jahrzehnten. Neben die Spuren, die geblieben sind, tritt die Rekonstruktion der Zusammenhänge. Nicht nur die Trümmer zerbombter Städte und die eingebrannten Schatten nach dem Atombombenabwurf sind fotografiert, sondern auch periphere Phänomene. Geordnet ist diese Ausstellung nach dem zeitlichen Abstand zwischen Konflikt und fotografischer Aufnahme, beginnend bei der nächsten Nähe. Dadurch hängen Fotografien aus verschiedenen Dekaden und von unterschiedlichen Ereignissen nebeneinander.

Ausgangspunkt der Ausstellung „Conflict, Time, Photography“ ist die außersprachliche Qualität der Fotografie, Ereignisse zu vermitteln, auch wenn sie kaum zu begreifen oder lange schon vorbei und vielleicht vergessen sind. Damit verbunden sind die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit mittels der Fotografie und die Bewussthaltung in späteren Generationen. Die Ausstellung berücksichtigt den Blick der Nachgeborenen. So stoßen wir am Ende der Ausstellung auf die fotografische Serie „Shot at Dawn“ von Chloe Dewe Mathews (geb. 1982) aus dem Jahr 2013. Sie bezieht sich auf die Erschießung junger Soldaten vor 99 Jahren, die zu Beginn des Ersten Weltkriegs an der Westfront desertiert sind, weil sie das Grauen und das Töten nicht ertragen konnten. Chloe Dewe Mathews hat die Orte ihrer Exekution aufgesucht und dort eine Aufnahme gemacht, möglichst am gleichen Tag im Jahr, zur gleichen Uhrzeit. Wir sehen – in Farbe, im Format 120 x 150 cm – die Natur an der städtischen Peripherie, im Dickicht des Waldes, als karges Gestrüpp, jeweils menschenleer, mithin sachlich notiert, und doch scheint es in der Zeitlosigkeit der Szenerie, als sei das Sterben zugegen. Es sind Bilder, die unter die Haut gehen.

Diese Differenz zwischen der Schönheit der weiten Landschaft und dem Schrecklichen des vergegenwärtigten Ereignisses findet sich noch öfter in der Ausstellung. Schließlich handelt es sich nicht um „reine“ Dokumentar- oder Kriegsfotografie, sondern überwiegend um künstlerische Positionen. In den verschiedenen, teils konzeptuell angelegten Bildsprachen werden die Ereignisse in ihrer existenziellen Dimension transzendiert, vielleicht auch um aus der Betroffenheit Engagement zu initiieren. In einem Bild am Anfang der Ausstellung sehen wir am Himmel dunkle Wolken; seitlich sind kleinere Zentren aufwachsend vom Boden zu beobachten. Indem sie vor dem Gebirge am Horizont lokalisiert sind, können sie nicht so weit weg sein. Den Einschlag der Bomben mit der Verwüstung sehen wir nicht. Aber plötzlich erkennen wir im Vorder- und Mittelgrund Gräben. Die flüchtigen Wolken selbst werden mittels der Fotografie für die Ewigkeit festgehalten und zur festen, geradezu akustischen Form. Und sie definieren den Ort. Im Fall von Luc Delahaye öffnen sie ein weites Feld an Bezügen – auch hier ist der Titel wichtig. Obwohl: Ein unterschwelliges Grauen ist der Szenerie als solcher doch eingeschrieben.

Je länger man durch die umfangreiche Ausstellung läuft, desto mehr stellt sich die Erkenntnis der Omnipräsenz von Krieg ein. Schon ein hermetisches Betongebäude in der sandigen Landschaft vermittelt Spuren der Gewalt und der Ohnmacht. Die Ausstellung „Conflict, Time, Photography“, die von der Tate Modern in London entwickelt wurde, ist in ihren komplexen Fragestellungen und der zwangsläufig absurden Brillanz der Fotografien sehenswert, wichtig und unvergesslich.

„Conflict, Time, Photography“ | bis 5.7. | Museum Folkwang in Essen | 0201 884 54 44

THOMAS HIRSCH

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