Hecheln war nicht nur an diesem Tag das richtige Schlagwort. Während die Sonne den Gästen durch die Fensterscheiben ins Gesicht schien und für eine brütende Hitze in den Rottstr5-Kunsthallen sorgte, versuchte Adrienne Goehler, die als Podiumsdiskutantin eingeladen war, die Arbeitssituation Kulturschaffender zu beschreiben: „Was heute passiert, ist, dass wir von einem Projekt zum nächsten hecheln.“ Die Kuratorin und Publizistin, die unter anderem den Hauptstadtkulturfond kuratierte, beschrieb bereits in ihrem Buch „Verflüssigungen“, dass ein projektbezogenes Arbeiten zunehmend familiäre oder sozialstaatliche Modelle ablöse: „Das ist vorbei: wir haben diese normalen Arbeitsverhältnisse nicht mehr.“ Doch im Raum stand damit die Frage, welche Projekte wie gefördert werden sollten – und das vor dem Hintergrund der jüngsten Haushaltssperre in Bochum, die Kürzungen von etwa 30 Prozent bei der freien Kulturszene nach sich ziehen können.
Kulturentwicklungsplan als Kommunikationsprozess
Um einer adäquaten Förderung gerecht zu werden, haben sich sowohl PolitkerInnen wie auch Kulturschaffende für einen Kulturentwicklungsplan stark gemacht. Wie ein solcher aussehen kann und dass dieser im Idealfall kein reines Förderprogramm sei, versuchte zunächst Yasmine Freigang, Projektleiterin „Kulturentwicklungspläne“ des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, zu erläutern: „So ein Kulturentwicklungsplan ist ein Kommunikationsprozess.“ Daher gelte es, so Freigang, „alte Strukturen aufzubrechen und zu erneuern, um Räume zu schaffen wo Kommunikation stattfinden kann.“ Denn das sei auch bisher ausgeblieben, wie sie kritisiert: „Ich bin erstaunt, wie wenig sich die unterschiedlichen Ressorts kennen.“ Das untermauerte auch Goehler: „Es ist nicht nur in Bochum so, dass es Haushaltssperren gibt. Wir sind gut beraten, in den Ressorts zu wildern.“
Falsche Fördersysteme? Gibt es zu viel Kunst?
Zudem kritisierte Goehler, dass die bestehenden Fördersysteme einfach auch zu viel an Quantität hervorbringen würden: „Wir produzieren in diesem Land von allem zu viel: zu viele Joghurts, Autos und auch zu viel Kunst – weil wir die falschen Fördersysteme haben. Die bestehenden Formen reichen nicht aus, das immer-mehr-werden der Kunst zu beherbergen.“ Ihre Meinung polarisierte nicht nur im Publikum, sondern warf auch die Frage auf, wie sinnvoll dann noch staatlich geförderte Kunsthochschulen sind. Hans Nieswandt, künstlerischer Geschäftsführer des Instituts für Populäre Musik der Folkwang Universität der Künste, verteidigte jedoch mit Blick auf die ungewisse Zukunft vieler KünstlerInnen aber auch seiner Master-AbsolventInnen solche Studiengänge als eine Art Fördersystem: „In neoliberalen Zeiten ist es für Künstler auch wichtig, einen Schutzraum zu haben.“
Vor dem Hintergrund der Frage, wie und welche Kunst gefördert werden soll, drehte sich die Diskussion jedoch zunehmend um Qualität und Bewertung von Kunstwerken. „ Qualität ist nicht das beste Thema für eine Streikdiskussion“, konstatierte schließlich Moderatorin Antje Grajetzky.
An der realen Sparpolitik ändert das nichts: drastische Kürzungen stehen in der freien Kulturszene an. In den Rottstr5-Kunsthallen streiten sich Beteiligte aus Kultur und Politik derweil um pseudo-ästhetische Fragen nach der Qualität von Kunst. Da hilft nur: hecheln, japsen und noch mal hecheln.
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