Was für eine Gelegenheit! Die Autorenfilme von Abbas Kiarostami, der 1940 in Teheran geboren wurde, dort ansässig ist und zu den großen Regisseuren seines Genres zählt, sind so still und verhalten, dass sie nicht den Weg in die großen Kinos finden, auch nicht auf die zeitigen Sendeplätze des Fernsehens. Und obzwar sie auf den wichtigen Festivals gezeigt, dort prämiert und rezensiert werden, ist es nicht einfach, sich einen profunden Überblick zu verschaffen. Das aber ist nun in der Situation Kunst in Bochum anhand von Filmen wie auch von Fotografien möglich. Dabei überrascht übrigens, dass Kiarostami, der seit den 1970er Jahren neben der Regiearbeit immer wieder auch fotografiert hat, mit seinen Aufnahmen in Deutschland bislang so gar nicht präsent war. Und bei allen offensichtlichen Unterschieden – denen der Planung und der Nachbereitung, der Statik bzw. Bewegung der Kamera – weist eben doch das eine Medium auf das andere.
So spielt bei seinen Filmen das Bewusstsein der Rahmung und des Ausschnittes eine wichtige Rolle; Kiarostami komponiert seine Bilder nach Linien. Er verlegt in den Fotografien den Horizont nach außerhalb des Bildes und verzichtet schließlich ganz auf ihn. Ein zentrales Motiv, ja, Thema seines Werkes sind Straßen und Wege, die sich auch als Spuren von Tieren oder der Bewegung von Fahrzeugen und Menschen einstellen können. Das alles spielt sich an einem unbestimmtem Ort ab, umfangen von einer geschlossenen Schneedecke oder hinter der Frontscheibe eines Autos oder am Strand, umspült von Wasser. Suggestive Annäherung und Distanzhaltung stehen in einem unglaublichen Verhältnis, lösen sich auf und werden durch den Bildausschnitt wieder mit Nachdruck getrennt. Um das zu realisieren, lässt Abbas Kiarostami die Zivilisation hinter sich und begibt sich auf einsame Reisen in die Natur, vor allem im Iran. „Wenn Träumen heißt, der Stadt und ihren Zwängen zu entfliehen, wenn Träumen heißt, zu den Ursprüngen – also zur Natur – zurückzukehren, dann kann das Fotografieren ein Anlass zum Träumen sein“, hat Kiarostami, der auch als Lyriker etabliert ist, 2000 in einem Interview gesagt.
Das Ergebnis seines Beobachtens und Bedenkens: menschenleere Bilder voll tiefsinniger Schönheit, gegeben in großer Genauigkeit und formaler Ausgewogenheit. Das kennzeichnet auch die beiden fotografischen Werkgruppen „Snow White“ (1978-2004) und „Rain and Wind“ (2006/07), die im Kubus der Situation Kunst ausgestellt sind. Die s/w-Aufnahmen von „Snow White“ zeigen aus meist erhabener, fernsichtiger Position Schneefelder, aus denen Bäume oder Äste oder Reihen mit Stecken ragen. Mitunter fällt der graue Schatten weiterer Verästelungen auf die weiße Fläche, oder langgezogene Schneisen lassen auf Verwehungen schließen. Der Bildausschnitt ist so gewählt, dass die Orientierung relativ wird, die Darstellung vielleicht sogar auf dem Kopf stehen könnte und die schwarzen Partien im harten Kontrast wie eine Zeichensprache wirken.
Anders mutet Kiarostamis zweite Werkgruppe in Bochum an, bei der Regentropfen und Wasserfäden in kristallin feinen, fast plastischen Nuancen auf der Frontscheibe eines fahrenden Autos zu sehen sind; zumal mit der weich verfließenden, dann punktuell scharfen Farbigkeit lässt dies noch an abstrakte Gemälde denken. Die beiläufigen Stadien, die mit der Bewegung der Scheibenwischer geschaffen, aufgelöst und hier nun eingefroren sind, sind in Bildern zwischen Innen und Außen festgehalten.
Transparenz und Flüchtigkeit
Wie fundamental die Präsenz und Wirksamkeit eines Vorhanges für Kiarostami ist, belegt im Erdgeschoss die Videoinstallation „A Summer Afternoon“ (2006), die als 10minütiger Loop abgespielt wird und zu der ein Ventilator gehört. Im Rücken des Betrachters platziert, erzeugt er einen spürbaren Lufthauch; dabei sieht man vor sich, projiziert auf die Wand, einen wehenden Vorhang über einem zweiteiligen Fenster mit der Aussicht auf Nadelbäume. Festgehalten im Gegenlicht, ist das Geschehen unscharf und in Bewegung und trägt dadurch den Anschein eines Ereignisses, ohne dass freilich etwas passiert. Tatsächlich schafft Abbas Kiarostami aus kleinen Beobachtungen große Sensationen; Akteur seiner Fotografien und Filmsequenzen ist vor allem die Natur: Wind, Wasser, Felsgestein, ein Strand, an den der Wellengang ein Stück Holz zurückwirft und doch immer wieder mit sich nimmt. Daraus entstehen meditative Episoden und ganze Filme von großer Symbolkraft. Die in Bochum gezeigten Kunstfilme konzentrieren sich auf periphere Details im Vergehen von Zeit, die viel über das Leben und unsere Existenz mitteilen, auch wenn die Natur menschenleer ist und sogar unberührt scheint. Zu sehen ist aber auch der dokumentarische Film „Roads of Kiarostami“ (2005). Dort geht es um Abbas Kiarostami selbst bei seiner Tätigkeit: beim Beobachten eines Wolfes oder hinter den Stäben eines Gitters in die schneebedeckte Landschaft laufend oder aus dem Auto heraus fotografierend. Es bleibt dabei: So nah kommt man diesem bedeutenden Filmemacher und Bilder-Finder selten.
„Abbas Kiarostami. Stille und bewegte Bilder“ | bis 20.1. | Situation Kunst, Bochum | www.situation-kunst.de
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