Die Ausstellung „Zen und die westliche Kunst“ wies vor elf Jahren im Bochumer Museum den Einfluss der Zen-Philosophie auf die europäische und amerikanische Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts nach. Dieser Faden wurde mit Ruhrtriennale-Intendant Willy Decker als Mitkurator wieder aufgegriffen. Auch in der westlichen Kunst existiert die Versuchung, Transzendenz anzustreben: Das Sichtbare weist nach abendländischem Verständnis in die Dimension des Göttlichen. Dazu steht der Buddhismus im krassen Gegensatz: Der Buddhismus ist eine Religion ohne Gott.
trailer: Die Spur Buddhas führt ausgerechnet nach Bochum?
Dr. Hans Günter Golinski: Oder von Bochum in die Welt. Wir haben in den letzten Jahren immer wieder das Thema Kunst und Religion zum Inhalt von Ausstellungen gemacht. Wir haben vor gut elf Jahren mit der Ausstellung „Zen und die westliche Kunst“ angefangen. Jetzt dreht sich die Ruhrtriennale um den Buddhismus. Da etwas zusammen zu planen, war ein spontaner Entschluss. Ich habe Willy Decker zum Mitkurator gebeten, denn ich finde es generell spannend, Leute aus anderen Disziplinen im Ausstellungsgeschehen mitwirken zu lassen. Wir haben den Blick auf Künstler gelegt, die in Asien leben, Künstler, die im Grunde genommen durch den Buddhismus sozialisiert sind. Aber wir wollen hier nicht die moderne, buddhistische Kunstschiene zeigen, sondern hier sind Künstler, die in ihrem Werk Spuren der Philosophie mehr oder weniger sichtbar nachweisen.
Aber ein guter Wanderer lässt ja keine Spur zurück?
Das ist genau das Thema. Laotse hat das so definiert. Dieses Thema findet sich durchgängig im Buddhismus. Bei manchen Künstlern in der Ausstellung fällt es wirklich schwer, die Spur zu finden. Eine Spur ist ein Zeichen, dass jemand da war, aber nicht mehr da ist. Zwischen Anwesenheit und Abwesenheit setzt da eine Paradoxie ein, die den Buddhismus kennzeichnet, die buddhistische Philosophie, im Grunde die Quadratur des Kreises zu leisten und dabei uneindeutig zu bleiben. Das ist in der Ausstellung immer wieder sichtbar: Da sind zum Beispiel Fotografien von Atta Kim, man schaut in großformatige Stadtszenen, man sieht die Champs-Élysées, Unter den Linden in Berlin, schaut auf den Wenzelsplatz in Prag. Doch auf den ersten Blick sind die Plätze vollkommen leer. Und man überlegt, wann die Aufnahmen gemacht sind, wann denn so ein Platz mal leer ist. Wenn man dann genauer hinschaut, erkennt man Schattenhaftes, Schemenhaftes. Atta Kim hat acht Stunden Langzeitbelichtung gemacht, so dass man wirklich Leere sieht und dann doch merkt, Leere heißt Anwesenheit. Das finde ich sehr subtil und unheimlich spannend umgesetzt.
Die alte chinesische Avantgarde wie das 85-Movement um Ai Weiwei ist nicht dabei?
Nein. Ai Weiwei zu zeigen, wäre fast ein bisschen auf einen Trend aufgesprungen. Wir hätten die Möglichkeit gehabt, dieses wunderbare Teehaus von ihm, das jetzt in Berlin im Museum für Asiatische Kunst steht, zu bekommen. Aber dann fanden wir Ai Weiwei doch zu trendy. Wir haben Nam June Paik dabei. Bei diesem koreanischen Medien-Massen-Künstler fanden wir spannend zu zeigen, dass auch der seine leeren Bildschirme, seine leeren Zeichnungen hat, bis hin zu Buddha Statuen, oder dass er aus dem Tempelbereich dieses typische Klopfholz für seine Arbeiten benutzt hat.
Ist die Auseinandersetzung mit Buddha Teil der neuen chinesischen Avantgarde?
Eher nein. Ich denke, dass genau wie wir im christlichen Abendland groß geworden sind und unsere Bildvorstellung am Christentum orientieren, ist das bei den asiatischen Menschen auch. Das ist es ja auch, was uns bei diesen Projekten zur Religion interessiert hat. Josef Beuys ist ohne Christentum nicht denkbar, trotzdem würde man Beuys ja nicht als reinen christlichen, religiösen, dogmatischen Künstler sehen. Ähnlich ist es bei den chinesischen Künstlern auch. Natürlich gibt es jetzt forciert eine Nuance, gerade in der gegenstandslosen chinesischen Kunst, wo diese Nähe zur Tradition eine Rolle spielt. Wir haben mit Chen Shen in der Ausstellung einen Maler, der mit Acryl malt, der sich aber voll und ganz auf die chinesische Tuschtradition beruft und der von Leere und Fülle spricht und sich zum Buddhismus bekennt. Bekennt nicht in dem Sinne, dass er sagt, ich mache buddhistische Kunst, sondern er leitet seine Schöpfungen aus diesen Kriterien her. Und das ist bei allen Künstlern der Fall. Das ist ein Beitrag zur universellen Weltkunst, die im Speziellen Spezifisches mitbringt. Auch wenn ich kein Buddhist bin oder keine buddhistische Lehre anerkenne, kann ich diese Bilder lesen. Das war mir wichtig.
Momentan findet in China eine kulturhistorische Rückbesinnung statt?
Ich denke ohne die chinesische gesamtpolitische Situation im Detail zu kennen und auch zu beurteilen, dass natürlich diese tradierten Strömungen immer vorhanden gewesen sind und teilweise jetzt sogar zum Exportschlager werden. Wir zeigen ja auch historische Exponate. Das sind so kleine Inseln, die zeigen wir nicht chronologisch oder stilistisch, sondern ganz assoziativ. Wir haben da auch recherchiert, denn wir wollten gerne Sachen zeigen, die noch nicht so oft zu sehen waren. Erschwerend ist, dass unheimlich viele Fälschungen auf dem Markt sind. Da gibt es richtig große Produktionsstätten in China, die eben asiatische Tradition in den Westen verhökern. Vom handwerklichen sind die Sachen perfekt gemacht. Und wenn ich mich handwerklich mit etwas beschäftige, und sei es, um einen Job zu haben und mein Leben zu finanzieren, komme ich dennoch nicht darum herum, mich mit den Inhalten zu beschäftigen. Insofern ist auch dieser Vorgang ambivalent.
Der Weg des Dialogs mit außereuropäischen Kulturen im Museum Bochum geht weiter?
Ja. Die Intentionen solcher Ausstellungen sind ja vielschichtig. Kunstgeschichtlich war von Interesse, dass Religionen ein zum Teil sehr kritisches Verhältnis zum Bildmachen haben. Es interessiert natürlich einen Kunsthistoriker wie ein Künstler, der sich zum Visualisieren berufen fühlt, mit Verboten oder Kritik in dieser Richtung umgeht, oder dass dieses Abbildungsverbot im Judentum oder Islam verstärkt zur Abstraktion führt. Es ist natürlich auch ein didaktisches Interesse, was wir an solchen Projekten haben, wenn wir außereuropäische Kunst in zeitgenössische Kunst aus Europa einbetten, dann wird das Konzept für Besucher auch leichter nachvollziehbar.
Könnte das ein Alleinstellungsmerkmal des Museum Bochum werden?
Es ist schon eine Besonderheit, die wir hier in der dichten Landschaft produzieren. Wobei ich nicht behaupten würde, dass wir die Welt oder das Rad neu erfunden haben. Karl Ernst Osthaus hat im Grunde genommen schon von Anfang an das vergleichende Sehen mit eingeführt. Aber nichtsdestotrotz glaube ich schon, dass es eine Besonderheit von uns ist zu schauen, was am Rande passiert. Dass wir immer wieder auch Kunst ausstellen, die nicht im Mainstream zu finden ist, das war von Beginn an eine Tradition des Hauses. Der Blick nach Osteuropa war damals zu Zeiten des Kalten Krieges wirklich progressiv. Als wir armenische Kunst gezeigt haben, wo konnte man da armenische zeitgenössische Kunst sehen? Diese Tradition, begonnen von Peter Leo über Peter Spielmann, habe ich versucht, fortzuführen. Aber es bleibt eine Gratwanderung.
„Buddhas Spur“ I Bis 13. November 2011 I Museum Bochum I 0234 9104230
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