Manche der ausgestellten Bilder werden wohl noch nicht unter diesem Aspekt rezipiert worden sein. Die Ausstellung „Aufbruch – Malerei und realer Raum“ in der Situation Kunst (für Max Imdahl) in Bochum-Weitmar stellt Beispiele für die Ausweitung des konventionellen Tafelbildes nach 1945 vor. Sie dokumentiert dabei eine schleichende Revolution, die uns heute gar nicht revolutionär, sondern wie selbstverständlich vorkommt. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass das traditionelle Gemälde ein in sich geschlossenes, innerbildliches Ereignis war; Räumlichkeit wurde auf der Fläche illusioniert. Jedoch haben u.a. die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges dazu geführt, dass die Maler dieses geschlossene Konstrukt öffnen und den unmittelbaren Kontakt zur (existenziellen) Wirklichkeit aufnehmen. Das war – in den frühen Jahren der künstlerischen Neuorientierung – vor allem auf zwei Weisen möglich: Indem das Bildfeld verletzt wurde und sich zugleich plastisch in die Tiefe und den Außenraum erhob, und indem die Leinwand das konventionelle Rechteck verließ, auskragte und „schief“ oder „geschwungen“ verlief, oder sich über mehrere solcherart veränderte Leinwände erstreckte.
Es sind diese frühen Beiträge in der Ausstellung in Bochum-Weitmar, die die Bedeutung der Schau ausmachen. Zu sehen sind Werke von Lucio Fontana und Emil Schumacher, und, auf der anderen Seite, etwa die „shaped canvas“ von Ellsworth Kelly und Leon Polk Smith. Damit sind auch die unterschiedlichen Haltungen angesprochen: Die Europäer, die unter den Folgen des Krieges litten, setzten Versehrungen und Zerstörungen auf der Leinwand; die Amerikaner hingegen nahmen elegante Erweiterungen vor, die von Geometrien bestimmt sind. Die europäische Kunst ist erdfarben, nie bunt; die amerikanische Kunst handelt mit komplementären Buntfarben. Beides setzt sich in der zeitlichen Folge noch fort, für Europa etwa bei Antoni Tàpies und für Amerika bei Mary Heilman: Auch diese Künstler sind in der Ausstellung vertreten. Daneben hat sich sehr schnell ein dritter Weg entwickelt, bei dem der dreidimensionale Raum real geschaffen wurde, dafür stehen hier nun Günther Uecker oder Eva Hesse.
Dieses gute Konzept franst in der Ausstellung leider zunehmend aus, je näher die Kunst der Gegenwart rückt. Ein Grund dafür mag sein, dass bei dieser Ausstellung, die nach Bochum noch in vier weiteren Städten zu sehen sein wird, zu viele Kompromisse geschlossen werden mussten. Schon die Galerie m, die in Weitmar einen Steinwurf entfernt liegt und bei der Institutionalisierung der Situation Kunst verdienstvoll mitgewirkt hat, ist hier mit ihrem Programm wiederzuerkennen. Aber all diese Begehrlichkeiten und Positionierungen sind für die Ausstellung nicht wirklich gut. Der Anspruch „unterschiedliche Strategien zur Öffnung des Bildes“ (wie es im Katalog heißt) führt schließlich zu einer gewissen Beliebigkeit mit üppig besetzten Wänden, ja, auch das Treppenhaus musste herhalten. Etliche der jüngeren Künstler sind gar nicht im Kunstgeschehen etabliert und das ist auch richtig so. Ihre Kunst wird nicht besser, indem sie mit den großen Meistern ausgestellt ist, im Gegenteil.
Ein Fazit dieser Ausstellung könnte lauten, dass der Umgang mit Fläche und Raum – so wie es hier in der jüngsten Kunst zu sehen ist – heute frei verfügbar und selbstverständlich ist. Ein anderes könnte lauten, dass mit den historischen Bildern das Fundament eines komplexen künstlerischen Sachverhaltes freigelegt wurde und es nun die Aufgabe des Betrachters ist, gelungene Beispiele für die Gegenwartskunst zu finden. Ulrich Erben gehört dazu. Er ist im Katalog aufgeführt, in der Bochumer Ausstellungsstation in Weitmar aber nicht vertreten. Jedoch ist Erben ganz in der Nähe, in der Duisburger Küppersmühle, eine geglückte Werkschau gewidmet. Und mit der Erfahrung aus Weitmar könnte man diese nun ganz neu sehen.
„Aufbruch – Malerei und realer Raum“ | bis 15.11. in der Situation Kunst (für Max Imdahl) in Bochum-Weitmar | www.situation-kunst.de
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