Ein zentrales Werk des kolumbianischen Künstlers Iván Argote ist schon durch die Schaufensterscheibe zu sehen: Ein Monitor zeigt einen jungen Mann in der Pariser Metro. Im engen Ausschnitt umschmeichelt, leckt er mit seiner Zunge die glänzende Haltestange so hingebungsvoll, dass es an einen Poledance erinnert. Aus Ekel wird Sinnlichkeit.
Immer wieder nähert sich Iván Argote der eigenen und fremden Umgebung. Er schaut auf Plätzen um sich und erkundet diese neugierig und offen. In einem anderen Video legt er den vor ihm stehenden Menschen einer Versammlung die Hand auf die Schulter. Es geht kaum um die Reaktion, sondern vielmehr um die Berührung, die jedes Mal ein wenig anders erfolgt. Was vor einigen Jahren in Paris bei einer Versammlung zum 1. Mai stattgefunden hat, erhält in Coronazeiten eine neue, brisante Aktualität.
Iván Argote wurde 1983 in Bogotá geboren. An sein Kunststudium in Kolumbien hat er eines in Paris angeschlossen, wo er seither lebt. Er ist mit seiner Kunst weltweit gefragt, war zur Biennale Venedig eingeladen und ist in den Sammlungen des Guggenheim Museum und des Centre Pompidou vertreten. In Deutschland hingegen ist die Dortmunder Schau die erste institutionelle Ausstellung zu seinem Werk. Immerhin, Argote ist eingeladen, in den nächsten Jahren im Berliner Spreepark seinen Vorschlag für ein Ensemble aus Brücken zu realisieren, die Grenzen überspielen und auf denen man sich, von beiden Seiten kommend, begegnet. Im Werk von Argote geht es um Aspekte der gemeinsamen Teilhabe am öffentlichen Raum. Seine Aktionen selbst sind unaufdringlich, vorübergehend und kaum sichtbar. Das geht so weit, dass er vor einigen Jahren für einen Platz in Bogotá das Verb „chaflieren“ erfunden hat, das dort – mit den Inhalten des Verweilens, Kommunizierens, sich Treffens, aufmerksam Hinsehens etc. – in Umlauf gebracht werden sollte. Auch wenn er sich schließlich doch nicht beworben hat, das Wort und die Idee haben Argote nicht mehr losgelassen, er hat ein gleichnamiges Video mit früheren Aktionen geschaffen und nun die Dortmunder Ausstellung als möglichen Ort für einen „Chaflierplatz“ inszeniert.
Das beginnt hier mit Linienzeichnungen ineinander verschränkter Finger und setzt sich bei den robusten, mit eingefärbtem Beton überzogenen Bänken und dem Tisch fort, der für Diskussionen dient und auf dem wie auf einem Platz kleine selbstbewusste Figuren mit gegenläufigen Füßen (die „Antipoden“) stehen. Das Thema des „Chaflierens“ wird erweitert durch die Pflanzen, die in ihrer Zusammenstellung das künstliche, naturfremde Nebeneinander im Baumarkt zitieren, und führt im hinteren Bereich zur einladend farbigen Bodenfläche, in der Finger und Fingernägel mäandern, sich berühren und alles mit allem verwebt mitsamt der subtilen, Individualität betonenden Diversität im Betonpuzzle. Hinter dem leichten, sehr entspannten Sound scheint die ernste Frage auf, wem der öffentliche Raum eigentlich gehört, wieso er so reglementiert ist und wie wir miteinander – tolerant und offen für Überraschungen – umgehen: Ganz selbstverständlich setzt sich diese Ausstellung mit Plakatierungen in der Dortmunder Innenstadt fort.
Iván Argote - Chaflierplatz | bis 21.11. | Dortmunder Kunstverein | 0231 57 87 36
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