Felicity Korn, Referentin des Generaldirektors am Museum Kunstpalast in Düsseldorf, kuratiert die Ausstellung „Fotografinnen an der Front“ und spricht mit uns über weibliche Blicke und den Voyeurismus des Grauens.
trailer: Frau Korn, ist die Furcht der Mächtigen vor weiblichen Kriegsberichterstatterinnen größer?
Felicity Korn: Also die Rolle von Kriegsfotografinnen hat sich von den 1930ern bis heute sehr gewandelt und man kann eindeutig sagen, dass die Frauen im Zweiten Weltkrieg eine noch sehr extravagante Rolle eingenommen haben. Ihnen wurde nicht erlaubt, an die Front zu fahren, also konnten sie im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen nicht das Frontgeschehen dokumentieren. Das hing nicht mit einer Angst vor den Frauen zusammen, sondern damit, dass man sie schützen wollte. Später gab es keinen großen Unterschied zu den großen männlichen Kollegen. Vietnam hat ja sehr schnell gezeigt, was für Folgen eine kritische Foto-Berichterstattung hat und da gehen auch die Fotografinnen mit leuchtendem Beispiel voran. Die Militärs und die Politiker haben schnell gelernt, wodurch sich auch der Embedded Journalism entwickelt hat, dessen Regeln genauso für Frauen wie für Männer galten.
Die Wertschätzung für die Fotografinnen ist aber über die Jahrzehnte gestiegen?
Ja. Die Anerkennung und die Tatsache, dass es immer selbstverständlicher ist, dass Frauen auch von der Front berichten, ist auf jeden Fall gestiegen. Bei der Wertschätzung ist noch Raum nach oben.
Fotografieren Frauen anders? Haben sie persönlichere Blicke als Männer?
Nein. Und genau das zu zeigen, ist Ziel der Ausstellung. Wir wollen zeigen, dass es viele Fotografinnen gab und denen bisher nicht die Aufmerksamkeit zuteil geworden ist, die ihnen wie wir finden gebührt. Vielen der Bilder kann man nicht ansehen, ob sie von Gerda Taro oder Robert Capa, Christine Spengler oder Donald McCullin gemacht wurden. Es gibt schon Ausnahmen wie Lee Miller, die für ein Modemagazin fotografiert hat, also speziell für eine weibliche Leserschaft und die dann andere Motive ausgewählt hat. Dann gibt es Christine Spengler, die sich zur Aufgabe gemacht hat, das Schicksal von Frauen und Kindern hinter den Frontlinien zu dokumentieren. Das hätte genauso gut ein Mann machen können.
Wie echt kann eine Fünfhundertstel Sekunde mitten im Krieg überhaupt sein?
Es ist der einzige Weg, wie die Öffentlichkeit an einem Krieg teilhaben kann. Neben persönlichen Berichten der Teilnehmer des Kriegs natürlich. Ich glaube, das ist so nah dran wie man eben dran sein kann, wenn man nicht direkt am Kriegsgeschehen teilnimmt. Wir haben extra auch Fotografinnen ausgesucht, wo wir sicher sind, dass wir nichts nehmen, was irgendwie überinszeniert ist. Wenn man die Erfahrungsberichte der Fotografinnen liest und mit denen spricht, lernt man ganz schnell, und das sagte auch Anja Niedringhaus [deutsche Fotojournalistin, im April 2014 in Afghanistan erschossen; d. Red.], dass es nicht funktioniert, wenn man das Foto zu bauen versucht. Die besten Fotos sind wirklich die, wo sie selber einfach abgedrückt hat und dann am Ende selbst überrascht war.
Aber wer auswählt und Bilder veröffentlicht, manipuliert die Geschichte?
Natürlich haben die Redaktionen einen großen Anteil am Ergebnis. Die Fotografinnen liefern ihr Material und arbeiten eventuell noch mit Agenturen zusammen, die sie dann schützen. Lee Miller hat auch die Texte zu ihren Bildern, sogar den ganzen Artikel geschrieben, aber auch die hatte keinen Einfluss auf die Gestaltung.
Beim Embedded Journalism produziert man das zensierte Foto ja schon vor Ort, weil man ja aussucht, wo man die Journalisten hinlässt.
Anja Niedringhaus war ja ganz viel als Embedded Journalist unterwegs und sie ist wirklich ein gutes Beispiel, um zu zeigen, wie sie das ganz elegant umgangen ist. Sie hat Mittel und Wege gefunden, Fotos zu machen, die zwar akzeptiert wurden, aber die trotzdem einen ganz bestimmten Einblick in den Krieg bringen. Es gibt dieses Foto von ihr von dem Kapuzenmann, wo das amerikanische Militär immer verneint hat, dass sie den Gefangenen Kapuzen überstülpen. Sie ist dann erst einmal aus dem Embedded rausgeflogen.
Hat sich die Bildästhetik von Fotografien von der Front im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Ja, klar. So wie sich die ganze Bildästhetik im Fotojournalismus geändert hat. Das trifft natürlich auch auf die Kriegsfotografie zu.
Benötigt der Besucher nicht auch ein minimales Maß an Voyeurismus des Grauens?
Das ist ein schmaler Grat. Es ist sehr subjektiv, wie man diese Fotos wahrnimmt. Natürlich gibt es Fotos von Leichen, aber es gibt keine Fotos, die wir ausgesucht haben, weil das Blut in Strömen fließt oder weil es ein besonderes Gemetzel zeigt. Ziel dieser Ausstellung ist kein dokumentarisches Interesse, sondern der Blick auf die Ästhetik des Bildes. Und es ist eher interessant, wie die Fotografinnen das hinbekommen, dass das Motiv einen in seinen Grundfesten erschauern lässt, und man aber trotzdem nicht weggucken möchte.
Der zeitgenössische Wandel zum (auch nicht wahrhaftigen) Handyvideo: Der Job für die Fotografen wird schwerer.
Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass ein Foto oft mehr über einen Moment aussagen kann als ein Video. Und es sind gerade die Bilder, die Bestand über einen Bericht in einer Zeitung oder auf einer Website hinaus haben, die uns interessieren.
Fotografinnen an der Front | 8.3. bis 10.6. | Kunstpalast Düsseldorf | 0211 56 64 21 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Der Künstler als Vermittler
Frank van Hemert in der Otmar Alt Stiftung in Hamm-Norddinker – kunst & gut 10/24
„Die jüdische Renaissance ist nicht so bekannt“
Museumsleiterin Kathrin Pieren über „Shtetl – Arayn un Aroys“ im Jüdischen Museum in Dorsten – Sammlung 08/24
Farbe an Farbe
Otto Freundlich und Martin Noël in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 06/24
Ins Blaue
„Planet Ozean“ im Gasometer Oberhausen – Ruhrkunst 04/24
Einfach mal anders
Das stARTfestival der Bayer AG in Leverkusen geht eigene Wege – Festival 04/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Diplomatie kreativ
Ingo Günther im Kunstverein Ruhr in Essen – Ruhrkunst 02/24
Zur Liebe
„love/love“im Künstlerhaus Dortmund – Ruhrkunst 09/23
Kunst und Umgebung
„Produktive Räume“ in Haus Lange Haus Esters in Krefeld – Kunst in NRW 08/23
Kunst kommt zum Publikum
bobiennale vom 11 bis 21. Mai in Bochum – Festival 05/23
Draußen, immer
Ein Skulpturenprojekt in Monheim – Kunst in NRW 02/23
Forschungsstation Zivilisation
Andrea Zittel im Haus Esters Krefeld – Kunst in NRW 12/22
„Mangas sind bei der jungen Leserschaft die Zukunft“
Leiter Alain Bieber über „Superheroes“ im NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 11/24
„Weibliche und globale Perspektiven einbeziehen“
Direktorin Regina Selter über „Tell these people who I am“ im Dortmunder Museum Ostwall – Sammlung 10/24
„Jeder Besuch ist maßgeschneidert“
Britta Peters von Urbane Künste Ruhr über die Grand Snail Tour durch das Ruhrgebiet – Sammlung 09/24
„Auch die Sammler beeinflussen den Künstler“
Kurator Markus Heinzelmann über die Ausstellung zu Gerhard Richter in Düsseldorf – Sammlung 08/24
„Auf Fautrier muss man sich einlassen“
Direktor Rouven Lotz über „Jean Fautrier – Genie und Rebell“ im Emil Schumacher Museum Hagen – Sammlung 07/24
„Eine von Verflechtungen und Austausch geprägte Welt“
Kuratorin Julia Lerch Zajaczkowska über Theresa Webers „Chaosmos“ im Kunstmuseum Bochum – Sammlung 06/24
„Keine klassischen Porträtfotografien“
Kuratorin Kerrin Postert über „UK Women“ in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen – Sammlung 06/24
„Sowohl Bio als auch Fastfood“
Nico Anklam über Søren Aagaards Ausstellung bei den Ruhrfestspielen 2024 – Sammlung 05/24
„Die Realitäten haben sich verändert“
Die Kuratorinnen Özlem Arslan und Eva Busch über die Ausstellung zur Kemnade International in Bochum – Sammlung 04/24
„Das kann einem einen kalten Schauer bringen“
Direktor Tayfun Belgin über die Gottfried Helnwein-Ausstellung im Osthaus Museum Hagen – Sammlung 04/24
„KI erlaubt uns einen Einblick in ein kollektives Unbewusstes“
Kuratorin Inke Arns über Niklas Goldbachs „The Paradise Machine“ im Dortmunder HMKV – Sammlung 03/24
„Wir sind stolz darauf, diese Werke im Bestand zu haben“
Kuratorin Nadine Engel über die Ausstellung zu Willi Baumeister im Essener Museum Folkwang – Sammlung 02/24