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Die Dortmunderin Janina Sachau ist Medea
Foto: Presse

Die Qualität ihres Leids ist ihre Stärke

30. Januar 2014

Konstanze Lauterbach inszeniert am Theater Essen Euripides „Medea“ – Premiere 02/14

Schon vor mehr als 2400 Jahren stellte Euripides (ca. 485-406 v. Chr.) die Frage nach der Rolle der Frau in Gesellschaft und Privatleben. Seine Medea ist eine Außenseiterin, von der griechischen Gesellschaft verachtet und dämonisiert – schon aufgrund ihrer Herkunft und ihrer Klugheit, aber auch wegen der Unbedingtheit ihres Zorns, der jede gesellschaftliche Norm sprengt: In ihrem Stolz zutiefst verletzt, ist Medea weder bereit, sich mit dem rücksichtslosen Egoismus, der Eitelkeit und dem Opportunismus ihres Mannes abzufinden, noch dazu, sich weiterhin den Spielregeln des fremden Landes anzupassen. Doch welche Mittel sind erlaubt zur Verteidigung der persönlichen Würde und wie weit geht ein Mensch, wenn ihm alles genommen wird? trailer sprach mit Regisseurin Konstanze Lauterbach.

trailer: Was bringt den Mythos einer Kindermörderin immer wieder auf die Bühne?

Konstanze Lauterbach: Ich glaube, der Kindsmord als absoluter Eklat im Stück, ist die letzte Konsequenz der Irrfahrt einer Frau, der Kolcherin, die aus einem unzivilisierten Land kommt und für einen Mann alles preisgibt, ihr Vaterland verrät, ihren Vater verrät, sich alle Rückwege abschneidet aus Liebe zu diesem Mann. Die ist so bedingungslos diese Liebe und dann wird sie von diesem Mann verlassen, der sie kolonisiert hat, der ihr Vaterland usurpiert hat, alles durch Raub des Goldenen Vlieses. Aufhängepunkt der Geschichte ist nicht nur der Kindsmord, das ist der Kulminationspunkt. Ich glaube, diese ganze Geschichte der Kolonisation und der Kollaborateurin Medea und dieser Ehekrieg auf dem Fundament eines großen Kulturkonflikts – das ist der Horizont des Stückes.


Aber hat denn Medea tatsächlich ihre Kinder umgebracht?

Konstanze Lauterbach

Konstanze Lauterbach arbeitete von 1982 bis 1984 als Regieassistentin in Chemnitz. Es folgten zahlreiche Gastinszenierungen und von 1987 bis 1990 ein festes Engagement in Rudolstadt. Von 1990 bis 1999 war sie als Hausregisseurin am Schauspiel Leipzig engagiert und inszenierte in dieser Zeit auch regelmäßig am Theater Bremen sowie am Burgtheater Wien, bei den Wiener Festwochen und am Bayerischen Staatsschauspiel München. Von 2001 bis 2004 war sie Hausregisseurin am Deutschen Theater in Berlin. Seitdem arbeitete sie als freie Regisseurin für Oper und Schauspiel. 1997 wurde ihr der Preis des deutschen Kritikerverbandes verliehen, 2002 erhielt sie den Caroline-Neuber-Preis der Stadt Leipzig.

Diesen Kindsmord dichtet Euripides Medea an. In anderen Interpretationen, Ovid, Apollinaire, liegt das Verbrechen auf Seiten der Korinther, die Medea verfolgen und ihre Kinder opfern, schlachten, hinrichten als Rache gegen ihre Empörungswut gegen das Königshaus. Das sind Vergeltungsschläge. Es wird immer gesagt, dass Euripides versucht, sie zu dämonisieren, die Figur Medea in einen Ruf zu bringen, den sie verdient. Ich glaube, Euripides reizt das einfach nur aus und zeigt die Grenzen des Vorstellbaren. Es ist ja nicht so, dass Medea abgeurteilt wird, die Götter helfen ihr am Schluss, das heißt sie hat ja das Recht der Rache. Sie übertritt zwar auch das Naturrecht, sich nicht am eigenen Blut zu vergreifen, und dennoch wird sie gerettet, also Euripides geht mit Medea mit und Jason ist eigentlich derjenige, der abgeurteilt wird, nicht Medea.


Muss man so einen Stoff überhaupt aktualisieren?
Der ist so fern, dass er von sich aus bis in die Gegenwart reicht. Weil das eine Endlosschleife ist, in der wir uns traumatisiert bewegen.



Geht es auch um Unrecht und Selbstverteidigung – oder darum, wie weit ein Mensch geht, wenn ihm alles genommen wird?

Also erst mal geht es um Recht und Unrecht. Die Straftat, wenn man es juristisch ausdrückt, liegt bei Jason. Der Meineid ist vor den Göttern geschworen und damit ein verpflichtendes Gesetz der Verantwortung. Also es geht nicht um mal Scheiden lassen, um einfach mal Trennen. Die Dimension ist, dass Jason zum Meineidigen wird und damit einen Gesetzesbruch begangen hat, und eigentlich derjenige ist, der, nach damaligem, attischen Recht, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden müsste. Dann geht es in diesem ganzen Stoff um die Verstoßung einer Figur, einer Fremden, einer Ausländerin. Das hat was mit der rigiden, ausländerfeindlichen Politik vom griechischen Staat Korinth, beziehungsweise Athen zu tun. Es ist auch Rassismus, der in diesem Stück stattfindet.


Damit sind wir wieder im Heute. Und warum Euripides und nicht Christa Wolf?

Bei Christa Wolf – Wolfgang Engel hat das mal gemacht – sind das eher epische Monologe. Man kann Christa Wolf mit reinnehmen, ihre gedanklichen Ansätzen, was Medea anbelangt. Sie verlagert das ja auch unter die DDR-Verhältnisse und zieht die Intellektualität in den Vordergrund, also dort wo Intellektualität einen zum Außenseiter macht, was auch der Ruf von Medea ist. Das sind emanzipatorische Fragen, die bei Wolf drinstecken, genau wie bei Euripides. Ich denke, dass der Euripides sicher viel Firnis hat, aber wenn man den Firnis abkratzt, kommt ein noch umfassenderes Bild von einem Schlachthaus Korinth zum Vorschein. Bei Wolf bleibt es für mich auch immer die Eindeckung in die DDR-Verhältnisse. Die kann ich Eins-zu-eins übersetzen. Der Vorzug jetzt Euripides ausgewählt zu haben, heißt nicht, Christa Wolf in die Ecke zu stellen. Wir arbeiten auch mit Heiner Müller, weil er den Kolonisationsvorgang noch mal schärfer komprimiert. Und das fließt in die Inszenierung ein.


Bleibt Medea eine starke Frau ohne Vorbildfunktion?

Also erst mal ist sie die Galionsfigur für die Korinthischen Frauen, die bei ihr andocken, weil sie selbst keine Rechte oder Privilegien haben. Weil sie unter diesen ewigen Kreislauf von Gewalt und Unterdrückung gegen die Frau unterworfen sind. In dem ist der Stoff ja auch verwurzelt. Die Stärke in Medea besteht darin, und das hat sie den anderen Frauen voraus, dass sie in ihrem Leid den Mut zur Klage und zur Empörung hat. Also die Qualität ihres Leids ist ihre Stärke, die Qualität, zu leiden. Das fußt ja wieder im Antiken, im Aischylos: Leben, Leiden, Lernen. Das ist aus der Orestie.


Und die Vorbildfunktion für heute?

Ihr Protest. Ihre Fähigkeit, zum Protest, das Unrecht nicht hinzunehmen, sich zu wehren, Widerstand zu leisten. Das ist für mich ein sehr aktiver und moderner Vorgang.

„Medea“ | Premiere: 28.2. | Grillo-Theater, Essen | Infos: 0201 812 22 00

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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