Das Kunstmuseum Bochum nutzt derzeit seine Räume in optimaler Weise. In drei Stockwerken sind drei Ausstellungen zu sehen, die unabhängig voneinander konzipiert sind, indirekt aber aufeinander verweisen und mithin für weite Teile der Ausstellungs- Programmatik des Museums stehen.
Ansatzlos und schon lange angekündigt ist die Ausstellung mit der Düsseldorfer Künstlerin Ursula Schulz-Dornberg im ersten Obergeschoss. Es ist gut, dass man dafür die Rampe hochgehen und sich sozusagen auf die Stille dieser Schau einstellen muss. Die dortige Ausdehnung und Tiefe wird hier als erfülltes Kontinuum erfahren und klingt als mentaler Resonanzraum nach, auch indem Ursula Schulz-Dornburg ihre kleinformatigen Fotografien äußerst sparsam und exponiert an ungewöhnlichen Stellen zeigt. Schon die Fotografien selbst handeln mit Weite und Entleerung, aber auch der Rücknahme dunkler Töne hin zu einem Verblassen. Zu sehen sind ausgewählte s/w-Bilder aus Werkgruppen von 1973 bis 2011, gefunden an fernen, oft schwer zugänglichen Orten. Meist sind die Landschaften menschenleer; der Horizont ist tief gelegt, fokussiert sind Naturformationen oder einzelne Bauten. So spektakulär tatsächlich die Beobachtungen auf den fernen Reisen sind, so „abwesendig, von einer beiläufigen Selbstverständlichkeit wirken sie als Bild. Dabei bewegt sich Schulz-Dornburg an der Grenze von Autobiographie, Dokumentarfotografie und Konzeptarbeit. Sie verortet sich dabei in einem Diskurs zeitgenössischer Kunst, indem sie einen Teil ihrer Fotografien mit Arbeiten von Lawrence Weiner und Mirosłav Bałka präsentiert.
Wie weit die Möglichkeiten der dokumentarischen Erfassung reichen, das verdeutlicht im Erdgeschoss die Ausstellung der vier Förderpreis-Träger 2008 der Wüstenrot Stiftung. Tanja Jürgensen, Mathias Königschulte, Maziar Moradi und Kim Sperling handeln im Medium Dokumentarfotografie unprätentiös und exponiert, jeweils für sich, aber mitunter fast zu verwechseln. Sie widmen sich den alltäglichen Szenen und der Ausnahmesituation in der Nähe und der Ferne und wenden sich immer wieder dem Porträt zwischen Berufsstand und Individualität zu. Durchgängig erzählen die Fotografien und fotografischen Serien ausgiebige Geschichten von sozialen und gesellschaftlichen Dimensionen. Zugleich positioniert diese Schau das Werk von Ursula Schulz-Dornburg weiter. Denn wo die jungen Dokumentarfotografen in ihrer Farbfotografie mit dem Format und der Oberfläche variieren, steht dieses für Schulz-Dornburg in seiner lichthellen und verhaltenen Neutralität unverrückbar fest – es sind solche Details, die unterstreichen, wie präzise diese Fotografin die Welt erfasst.
Aber das heimliche Zentrum dieser Ausstellungstrilogie ist nicht die so originelle Ausstellung der vier Stipendiaten der Wüstenrot-Stiftung, nicht die gediegene, etwas forcierte Schau der Fotografien von Ursula Schulz-Dornburg, sondern die exemplarische Retrospektive zu François Morellet, einem der Altmeister zwischen Konkreter Kunst, Op- Art und Medienkunst. Ihr unmittelbarer Anlass ist die offizielle Übergabe des Lichtbogens vor der Fassade, die seit etwa einem Jahr das Kunstmuseum weiter akzentuiert. Im Obergeschoss des Kunstmuseums werden nun, relativ zusammenhanglos, einige Werke aus unterschiedlichen Perioden und Zeiten ausgestellt, die in ihrer Gesamtheit die Haltung und Vorgehensweise von Morellet gut verdeutlichen. Der 1926 geborene Morellet steht mit seinem Werk für Fortschritt und Vision. So aktuell kann gestandene Kunst sein.
François Morellet, bis 29. Januar
Dokumentarfotografie Förderpreise 08 der Wüstenrot Stiftung, bis 5. Februar
Ursula Schulz-Dornburg bis 4. März
Alle im Kunstmuseum Bochum, 0234 910 42 30
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