Lange Zeit war Jochen Backes CDU-Mitglied, bevor er zur sogenannten „Alternative für Deutschland“ (AfD) wechselte. Hier fühlte sich der Justiziar des Bistums Essen gleichwohl nicht lange wohl und entschied sich zunächst für ein Einzelmandat im Rat der Stadt Essen, bis er sich den „Freien Wählern“ vom „Essener Bürger Bündnis“ (EBB) anschloss. Hier wurde er sogar – nachdem sein Vorgänger nach fraktionsinternen Querelen die Brocken hinwarf – Fraktionschef, bis er sich nunmehr abermals verkrachte und von dannen zog. Zwei weitere Ratsleute und Fraktionsgeschäftsführer Josef Förster nahm er gleich mit – und den „Freien Wählern“ zugleich ihren vom Wähler zugesprochenen Fraktionsstatus. Nun drehen Backes und seine beiden Mitfraktionäre Dagmar Rode und Manfred Gunkel als neugegründete Fraktion „Bürgerliche Mitte Essen“ (BME) im Essener Stadtrat frei – ein parlamentarisches wie demokratietheoretisches Trauerspiel in mehreren Akten.
So oder in abgewandelter Form ist es in vielen Kommunalparlamenten Nordrhein-Westfalens in den vergangenen Jahren zur Normalität geworden. Dass eine Dreier-Fraktion einen Vorsitzenden und zwei stellvertretende Vorsitzende wählt, lässt die Frage aufkommen, wem die Drei überhaupt vorsitzen wollen. Sich selbst? Ob es hierbei nur um monetäre Aspekte, vermeintliches Prestige oder um‘s eigene Ego geht – das mag jeder für sich selbst entscheiden. Um den Wählerwillen geht es bei dem Kuddelmuddel offensichtlich schon lange nicht mehr.
Einer, der sich mit dem ständigen Stühlerücken in Kommunalparlamenten wissenschaftlich befasst, ist Professor Dr. Jörg Bogumil. Der Inhaber des Lehrstuhls für öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik der Fakultät für Sozialwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum ist ein Verfechter der Sperrklausel bei Kommunalwahlen. Nachgefragt, wie eine solche Klausel dem politischen Trauerspiel Einheit gebieten solle, bleibt er pragmatisch: „Das Problem des ständigen Fraktionswechsels ist empirisch viel stärker aufgetreten, seitdem wir in NRW keine Sperrklausel mehr haben und viele kleine Gruppierungen ohne parteipolitische Ideologie oder ein aufgefeiltes Grundsatzprogramm in den Räten sitzen. Eine Sperrklausel kann zumindest das Ausmaß der Wechsel von Mandatsträgern begrenzen.“ Nicht etwa bei fünf Prozent, wie bei der Wahl zum Deutschen Bundestag, solle die Klausel seiner Auffassung nach liegen, sondern bei 2,5 Prozent. Bogumil: „Das reicht völlig aus. Das Problem tritt vor allem in Groß- und Mittelstädten auf, da die kleinen Gemeinden aufgrund der geringeren Einwohnerzahl und der damit verbundenen kleineren Räte eine natürliche Sperrklausel haben. Bei 40 Sitzen brauchen sie 2,5 Prozent für einen Sitz, in den Großstädten reichen oftmals 0,8 Prozent der Stimmen.“
Eine Alternative wäre ebenso die Hauptsatzung der Städte zu ändern: drei Personen um eine Fraktion zu bilden, das mag zu wenig sein. Fünf wären für einen Großstadt-Stadtrat vielleicht eher angemessen. Und die muss erstmal jemand finden, der wechseln will. Denn nicht jeder Gewählte gibt für einen schicken Posten, höhere Bezüge und fürs Ego gleich sein Gewissen und den Wählerwillen auf. Taktisch mag das politische Stelldichein für jeden einzelnen anmutend sein. Für die Demokratie ist es mehr als schädlich, fördert Politik- und vor allem Politikerverdrossenheit.
Rückblick: Nachgehakt – Die überforderte Verlegerin
Als überfordert beschreibt das Manager Magazin in seiner aktuellen Ausgabe Julia Becker, die Aufsichtsratsvorsitzende der Funke Mediengruppe. Akribisch hat Autor Christoph Neßhöver die Fehler der Vergangenheit bei WAZ und NRZ aufgelistet, ehe er sich an Becker und ihrer Mutter Petra Grotkamp wie auch NRW-Europaminister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner (CDU) abarbeitet. Letztere sind gemeinsam mit Renate Schubries Gesellschafter der Gruppe und zogen gemeinsam mit dem früheren Miteigentümer, dem Brost-Familienstamm, dreistellige Millionenbeträge aus dem Konzern. Von Investitionen in ihr Unternehmen scheinen alle seit jeher weniger begeistert. Bei ihrem Start vor gut einem Jahr präsentierte sich Julia Becker laut Manager Magazin als frisch-freche Verlegerin. Tatsächlich agiere sie als Leitfigur des Medienkonzerns jedoch sehr unglücklich. Dabei geht es bei Funke inzwischen um alles.
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