Konstantina Gaitanidou aus Hagenhat sechs Kinder und 10 Enkelkinder; zwei weitere sind auf dem Weg. Die 53-Jährige pflegt ihren Mann Pavlos (67). Für ihn hat sie ihren Job als Altenpflegerin aufgegeben. Als Kind wuchs sie in Stuttgart auf, ging mit den Eltern nach Griechenland und kam vor 21 Jahren zurück. Bei der Europawahl darf sie wählen, ebenso bei der Kommunalwahl. Was sie nicht darf: SPD-Mitglied werden. Denn bei den Sozialdemokraten will man Gaitanidou und ihren Mann nicht haben. Ihre Mitgliedsanträge wurden abgelehnt. Das ist nun rund ein Jahr her. „Warum, weiß ich nicht: wir haben nichts verbrochen und wollen doch nur Gutes tun für Hagen“, sagt sie. Noch schlimmer findet sie das, was nach der Ablehnung folgte.
„Zwei Briefe kamen an: Vorladungen! Wir sollten zur Polizei, nicht am gleichen Tag, sondern getrennt. Für meinen schwerbehinderten Mann war das sehr aufwändig. Er muss regelmäßig zur Dialyse und hat 18 OPs hinter sich. Wir fühlten uns von Staatsanwaltschaft und Polizei vorgeführt. Es reichte nicht, dass wir am Telefon sagten, dass wir SPD-Mitglieder werden wollen und die Anträge unsere seien“, erinnert sich Gaitanidou. Angeblich seien die Unterschriften auf den Anträgen gefälscht, so der Verdacht. „Quatsch!“, sagt Gaitanidou. Sie hatte seinerzeit ihren Bekannten Ali Kerim Yavuz gefragt, selbst SPD-Mitglied, wie das Beitrittsprozedere ausschaut. „Er hat uns alles erklärt; das mit den Ermittlungsbehörden war aber auch für ihn Neuland.“ Die Gaitanidous waren keine Einzelfälle. Die Westfalenpost schrieb damals: „Manipulationsverdacht: SPD Hagen weist 55 Bewerber ab. Knallt die Hagener SPD – womöglich gar rassistisch motiviert – interessierten Aktivisten systematisch die Tür zu?“ Insgesamt lehnte die Partei am Ende 102 Bewerber ab. Als vermeintlicher Unterschriftenfälscher geriet Yavuz selbst in den Fokus und in die Medien; sein Ruf war ruiniert–obwohl dieErmittlungen keinen Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage gaben. Das Verfahren wurde eingestellt, doch nicht, ohne zuvor rund 100 Zeugen vorzuladen.
Nachgefragt, warum die Staatsanwaltschaft so viele Zeugen antanzen lies, gibt sich Staatsanwalt Jörn Kleimann kleinlaut: „Die Vernehmungen waren notwendig, da überprüft werden musste, ob die betreffenden Personen tatsächlich die auf ihren Namen lautenden Mitgliedsanträge gestellt haben, oder ob diese von Dritten, ohne Kenntnis der jeweils Genannten, ausgefüllt, mit einer falschen Unterschrift versehen und entsprechend eingereicht worden sind.“ Als hätte man nicht schon nach 10, 20, 40 oder 50 Zeugen feststellen können, dass an den Anschuldigungen nicht mehr als Hirngespinste sind. Diejenigen, die vorgeladen wurden, hat das Prozedere zum Teil in Angst und Schrecken versetzt. „Wissen Sie, ich komme aus der Türkei. Wenn man bei uns zur Polizei muss, dann heißt das nichts Gutes. Die Schreiben der Polizei haben uns sehr verängstigt. Wir kamen uns vor wie Kriminelle“, sagt eine andere Betroffene. In die Partei aufgenommen wurden die Gaitanidous übrigens bis heute nicht. Doch sie wollen es erneut versuchen. Timo Schisanowski, Chef der Hagener Genossen, lässt indes jede Presseanfrage dazu unbeantwortet–vielleicht, weil er nun selbst in den Fokus rückt. Denn Ali Yavuz will ihn wegen Rufschädigung verklagen. Eine echte Posse!
Rückblick: Nachgehakt – Antibürgerliche AfD
Die rechtspopulistische AfD beschreibt sich selbst als „bürgerlich“. Für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist sie das genaue Gegenteil, nämlich „antibürgerlich.“ Im „Spiegel“ sprach er von „autoritärem, gar völkischem“ Denken. „Unglaublich!“, kommentiert Essens AfD-Bundesvorstand Guido Reil dazu auf Facebook. Der Präsident verletzte seine parteipolitische Neutralitätspflicht. Mitnichten. Beim Blick auf die Forderungen der AfD im Hinblick auf den Rechtstaat und das Grundgesetz dürfte Steinmeier nichts Anderes übrigbleiben. Er hat geschworen, seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren, Schaden von ihm zu wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes zu wahren und zu verteidigen – gewissenhaft und gerecht. Attribute, welchen die AfD zuweilen nicht gerecht wird.
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