„Artige Kunst“ in der Bochumer Situation Kunst – Sammlung 11/16
Die Ausstellung „Artige Kunst“ in der Situation Kunst, die Teil der Kunstsammlungen der Ruhr-Universität ist, setzt sich mit der Kunstpolitik im Nationalsozialismus auseinander, die für das Selbstbild des Regimes wesentlich war. Sie förderte nicht nur einen pervertierten Schönheitsbegriff, sondern auch einen neuen kriegsverherrlichenden Realismus. Wir sprachen mit der Kuratorin Katharina Zimmermann.
trailer: Frau Zimmermann, ist der Begriff „Artige Kunst“, bezogen auf die kriegsverherrlichenden Bilder, nicht eigentlich viel zu niedlich? Katharina Zimmermann: Der Begriff „artige Kunst“ bezieht sich ja auf die Große Deutsche Kunstausstellung von 1937, auf den Begriff „entartete Kunst“ und gleichzeitig auch auf das englische Wort Art. Wobei artig ja auch als bösartig weitergedeutet werden kann. Niedlich im Sinne von regimekonform würde dem schon zuträglich sein. Das war und ist ja auch sehr kantenlose Kunst.
Könnte man die Ausstellung auch als die Rache der Kunstgeschichte bezeichnen? Als Rache für was?
Katharina Zimmermann
Foto: Dominik Lenze
Zur Person: Katharina
Zimmermann ist in Bochum geboren und hat moderne und zeitgenössische
Kunst am Kunsthistorischen Institut der Ruhr-Universität Bochum
studiert (MA). Sie war zwischen 2007 und 2016 als Assistenz in der
Galerie m beschäftigt und arbeitet seit Oktober als Kuratorin der
Stiftung Situation Kunst.
Viele der Künstler, die in der Großen Deutschen Kunstausstellung zu sehen waren, waren ja nicht nur Nazikünstler, sondern auch traditionelle Bauernmaler, die eigentlich benutzt wurden. Unser Anspruch ist es definitiv, auch einen sehr dialektischen Blick auf die Künstler zu werfen und zu schauen, in welchem Verhältnis stand welcher einzelne Künstler zum Regime. Es gibt sicherlich auch Parteimitglieder unter den Künstlern, die da auch auf die Politik hingearbeitet haben und unterstützt haben, dass Propaganda mit ihren Bildern gemacht wurde. Aber es gibt auch die Maler, die sich in ihre sogenannte innere Emigration zurückgezogen haben. Da sprechen wir zum Beispiel von Otto Dix, von dem eben stillschweigende Rebellion geleistet wurde. Das als Rache der Kunstgeschichte zu beschreiben, finde ich zu stark.
Verändern sich die Werke in der Zeitmaschine Museum eigentlich nicht, insbesondere wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen werden? Ich denke, dass viele der Künstler, die in der Ausstellung zu sehen sind, eher aus der Kategorie Giftschrank kommen. Und dementsprechend überhaupt erstmal sichtbar gemacht werden müssen. Das ist ja auch das Problematische an dieser ganzen Ausstellung, viele sind aus ganz verschiedenen Gründen nämlich dagegen: Das sei gar keine Kunst oder das gehöre nicht in Kunstmuseen. Darüber wurde schon in den 1970er und 80er Jahren heftig diskutiert. Der Anspruch eines Museums sollte ja nicht ausschließlich sein, die Bilder auf die eine oder andere Art zu nobilitieren. Wir sind eine Bildungsinstitution, und das heißt, wir müssen auch schauen, wie die historischen Umstände waren. Wenn jetzt zum Beispiel Arno Breker ausgestellt wird, wird das immer heiß diskutiert. Aber bei uns ist das eine ganz klare Kontextualisierung. Dieses Museum hat verschiedene Aufgabenbereiche, und gerade in dieser Ausstellung legen wir den Fokus auf Vermittlung und Wissensaneignung, auf das, was früher einmal war. Dies ist keine Blockbuster-Ausstellung, in der, ganz lapidar gesagt, nur Namedropping betrieben wird. Viele der Künstler, die wir zeigen, die kennt man ja nicht einmal mehr. Da habe selbst ich noch Schwierigkeiten, die Namen bestimmten Werken zuzuordnen.
Und wie viele einst „gequälte Leinwände“ werden in der Ausstellung gezeigt? Das wird schwierig, und im Moment wissen wir das noch nicht so richtig, denn wir müssen bei der Hängung erst einmal schauen – das sind ja zum Teil riesige Formate. Wenn wirklich alle gehangen werden, die wir geplant haben, sind das dann zwischen 70 und 80 Arbeiten, sowohl Gemälde als auch Statuen.
Den Raum teilt man sich halbe, halbe? Die artigen Künstler sind in der Überzahl, aber eigentlich ist es nahezu ausgeglichen.
Ging es damals bei Kunst und Politik nicht eher um die Deutungshoheit der Worte als um die Deutung von Kunst? Je nachdem, wie man jetzt Kunst begreift. Kunst ist natürlich eine Sprache, es ist natürlich eine instrumentalisierte Sprache in dem Moment.
Und die „Entartete Kunst“-Ausstellung war ja idiotisch gut besucht, nicht so die erste Große Deutsche Kunstausstellung. Natürlich war der Anspruch der Nazis ganz eindeutig, dass die deutsche Kunst verständlich und eben nicht mehrdeutig war. Man wollte keine Expressionisten oder gar Abstraktion. Die Auswahl war eine ganz klare Reduzierung auf einfache Begriffe und auf traditionelle Werkbegriffe. Da wurde nicht rumexperimentiert, da ist nichts neu erfunden worden. Abgesehen von der Autobahnmalerei, der sogenannten, als Überhöhung der Straße auf Leinwänden. Aber auch das ist ein ganz einfaches, klar verständliches Vokabular für jedermann.
Wie hoch ist der Vermittlungsaufwand für die Besucher? Oh. Der ist sehr hoch. Wir haben unsere Studenten hier in der Situation Kunst, die wir für die Ausstellung sehr intensiv schulen und die uns auch bei Katalogtextbeiträgen geholfen haben. Dann haben wir extra für die Ausstellung einen Audioguide entwickelt, um den Besuchern das inhaltliche Konzept nahezubringen. Und auch das Begleitprogramm ist sehr facettenreich, für die „artige Kunst“ werden viele Professoren und Wissenschaftler kommen. Wir betreiben besonders viel Aufwand, damit da eben keine Missverständnisse bei den Besuchern entstehen. Denn was die „artigen“ Bilder in erster Linie sind, sie sind alle sehr kritisch zu betrachten.
In der „Entartete Kunst“-Ausstellung waren noch sechs oder sieben Frauen dabei. Bei den Nazis waren sie komplett raus aus dem arischen Kunst-System. Auch eine Facette? Also es kommt natürlich indirekt vor. Weil in den bäuerlichen Familienbildern speziell bei Ivo Saliger ein ganz eindeutiges, traditionelles Frauenbild gezeigt wird. Ob es „Das Urteil des Paris“ ist, bei dem der in Lederhosen gekleidete Mann sich eine der nackten Schönheiten aussucht, oder ob das die madonnenhafte Mutter ist, die ihre Kinder behütet: Dass da kein Platz mehr für eine arbeitende Frau ist, schon gar nicht als Künstlerin, das erschließt sich, wenn man sich die Bilder anschaut. Wir versuchen aber auch genau zu erörtern, dass in den 1920er Jahren eine berufstätige Frau auf der Straße immer präsenter wurde, dass in den 1930er Jahren uns die Bildwelten der Künstler aber was ganz anderes erzählen.
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