Das „Schaufenster“ links vor dem Haupteingang des Gelsenkirchener Kunstmuseums dient seit Jahren als Appetizer, um mit Mikro-Themenausstellungen und einer Handvoll Exponate aus der hauseigenen Sammlung Betrachter anzulocken. Drei von Wandzonen unterbrochene Fenster geben den Blick frei in einen schmalen Gang, in dem zurzeit zum Thema „Objet trouvé“ acht Werke Platz fanden und Neugier wecken. Da die Verspiegelung des Fensterglases stört und manche Werke nur zu erahnen sind, ist der Museumsbesuch faktisch ein Muss.
Als eine Art Türsteher verbreitet ein kleines interaktives Klangobjekt von Peter Vogel, das auf Vorbeigehende mit Tonfolgen reagiert, gute Laune. Die acht Objets trouvés von lokalen bis internationalen Künstlern entstanden zwischen 1960 und 2003. Als Eyecatcher fungiert das Sockel-Objekt der einzigen Künstlerin der Schau: Yayoi Kusama (geb. 1929) ist mit ihrem frühen Objekt „Utensils“, 1967, vertreten. Ein Rudel phallusartiger Wülste aus silbrigem Stoff entwachsen einer Auflaufform und einer seitlich herabhängenden Schöpfkelle. Während die renommierte Grande Dame aus Japan hier Kochgeschirr durch Überarbeitungen und Hinzufügungen symbolisch auflädt, steht bei den meisten anderen Exponaten Materialästhetik im Fokus. Leo Erb beispielsweise erzeugt mit ausgestanztem Locherkonfetti und weißer Farbe auf Holz ein rauputzähnliches Relief. Jiri Hilmar setzt Bindfäden als grafische Linien ein, die sich zum Teil in den Raum biegen, Wolfgang Sternkopf klebt unterschiedlich lange Kreidestäbe aufrecht in Schlangenlinien auf weißen Bildgrund und kreiert so malerische Licht-Schatten-Spiele. Eckhard Wesener entdeckt grafische Strukturen in vergilbtem Buchschnitt, Henk Peeters schafft Bildtafeln aus seriell angeordneten Wattebäuschen. Und Rolf Glasmeier baut sein „Kaufhausobjekt Lüftungen“, 1978, ein Relief aus teils geschlossenen, teils durchlöcherten Rechtecken, schlicht und direkt aus Baumarkt-Elementen. Narrativ ist die Arbeit des Düsseldorfer Künstlers Ferdinand Büttgen: sechs Notenständer mit ausgefahrenen Stabantennen. Als statische Skulpturen geben sie, durchs Fenster betrachtet, noch Rätsel auf. Im Ausstellungsraum klärt ein Video über die Bewegungsabläufe der kinetischen 1980er-Jahre-Installation „Pershing“ auf, die einen Raketenabschuss assoziieren lässt. Das kollektive Ein- und Ausfahren der klirrenden Antennen ist von sensibler Elektronik gesteuert, die heutzutage geschont werden muss.
Die Fundstücke aus Alltag und Warenwelt, mehr oder weniger be- und überarbeitet, verlieren als künstlerisches Material im Museum ihre ursprüngliche Funktion und gewinnen ästhetische Bedeutung. Durch Kontextverschiebung entsteht etwas völlig Neues. Gerade eine so konzentrierte, überschaubare Ausstellung hilft, das Prinzip „Objet trouvé“ zu entschlüsseln. Das Museum macht es einem leicht. Die Schwelle liegt niedrig: Der Eintritt ist frei.
Objet trouvé – Alltag wird zu Kunst | bis 31.5. | Kunstmuseum Gelsenkirchen, Horster Str. 5-7 | 0209 169-4361
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