Im Atelier auf Gut Selikum bei Neuss lehnen mehrere großflächige Pappen hintereinander: Rohmaterial, mehr noch: Material, mehr noch: ein erster, schon ganz direkter Entwurf für die Installation, die der Kunstverein im Kunstmuseum Gelsenkirchen durchführt. So funktional, direkt aus der industriellen Produktion und unberührt die Pappen mit ihren glatten Kartonoberflächen und der gewellten inneren Schicht auch sind: So wie sie sind, sind sie Teil der Ausstellung.
Die Pappen sind in der Höhe leicht überlebensgroß, nehmen also den Bezug zum menschlichen Maß auf, und wären sie auseinandergezogen, so würden sie als langgestreckte Wand eine Laufrichtung vorgeben, welche die jeweilige Bewegung vergegenwärtigt. Und sie sind gerade so weit gewölbt, dass sie mit punktuellem Gegendruck frei stehen können und sich gegenseitig halten. Das Unprätentiöse ist Teil der Ausstellung. Das leise Stören im Raum. Dem Betrachter wird erst allmählich und im Wechsel der Perspektive klar, wie das Konglomerat aus geschichteten Flächen die Wahrnehmung des Raumes verändert, eine eigene ausgreifende Form einnimmt und den Betrachter zum gleichberechtigten Partner macht. Dazu gehört die Thematisierung der Bildhauerei mit ihren grundlegenden Eigenschaften, die von der Konstitution des Menschen abgeleitet sind und mit Schwerkraft und Balance zu tun haben. Einzelne langgestreckte mehrlagige „Bretter“ auf dem Boden wirken wie Leisten, die eine respektvolle Distanz schaffen. Aber in ihrer Ausdehnung heben sie zugleich jede Abschottung auf. Sie ermuntern noch zur Umquerung dieser temporären Konstruktion mit den Resten von Architektur.
Wahrscheinlich, sagt Michael Kortländer, werde die Installation in Gelsenkirchen seine bislang reduzierteste Arbeit sein. Zur Verknappung trägt das Material bei: Michael Kortländer arbeitet seit Anfang der 1980er Jahre mit Karton, bevorzugt in primären Formen. 1978 an der Düsseldorfer Kunstakademie Meisterschüler in der Malklasse von Gerhard Hoehme, entdeckt Kortländer erst nach dem Studium und über die Verwendung von Packpapier als Bildträger den spröden Reiz der Wellpappe. Dass das Material leichtgewichtig und relativ unkompliziert in der Bearbeitung – dem Schneiden und Sägen – ist, sind günstige Nebeneffekte. Auch taugt der Karton für die Setzung von Farben: bei den Wandarbeiten. Diese sind mitunter mehrteilig. Sie sind in einem primären Formvokabular mit Abstand zueinander angeordnet oder voreinander gesetzt. Seitlich oder auf der Vorderseite leicht hervorragend, bleibt die Wellenstruktur als flimmernde Bewegtheit sichtbar.
Kortländer hat die meisten dieser Arbeiten, die sich wie Kästen von der Wand abheben, mit einem weitgehend einfarbigen Ton überzogen. Dieser ist in seinem Auftrag changierend und in Fetzen aufgerissen und trägt bisweilen die Anmutung von Stein oder Holz: als freches Zitat. Überhaupt kennzeichnet das gesamte Werk von Michael Kortländer eine gelassene Zuständlichkeit, schon in den Rundformen, den Scheibensegmenten, die im Organischen mitunter auf die Natur und den Menschen anspielen. Bei den raumbezogenen Installationen aber – die Kortländer etwa im Kunstverein Duisburg, in der Künstlerzeche Herne und dem Landtag NRW in Düsseldorf realisiert hat – ragen aus einem Kraftzentrum auf verschiedenen Ebenen einzelne geschichtete Flächen und Achsen heraus. Sie strecken sich in unterschiedliche Richtungen und wirken verschachtelt wie Mikadostäbe, die bei der kleinsten Erschütterung auseinanderfallen und doch eine kompakte, tatsächlich stabile Einheit bilden … So oder anders wird es in Gelsenkirchen aussehen: jedenfalls ganz einfach, nie ganz zu erfassen und tatsächlich superkomplex.
„Michael Kortländer: Bildvorstellung“ | bis 20.9. | Kunstverein Gelsenkirchen im Kunstmuseum Gelsenkirchen | 0209 169 43 61
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