„well, come“ by osa_office for subversive architecture
Foto: Volker Hartmann/Urbana Künste Ruhr
„Plakativ, um es auf den Punkt zu bringen“
25. August 2016
Katja Aßmann von Urbane Künste Ruhr über „well,come“ und „Actopolis“ – Sammlung 09/16
Ein rosa Stahlkoloss von „osa_office for subversive architecture“ macht es möglich: Jeder kann zur Ruhrtriennale in der Hallen-Luft schweben und im Dortmunder Hafen Teil einer Sound- und Videoperformance werden. Fragen an Katja Aßmann, die künstlerische Leiterin von Urbane Künste Ruhr.
trailer: Frau Aßmann, warum verändert Kunst immer nur die Optik, nie aber die Inhalte der Arbeitswelt? Katja Aßmann: Ich glaube ja, dass die Kunst auch die Inhalte der Arbeitswelt verändern kann, weil sie die Gedanken der Menschen verändert, die darin arbeiten und dass dies also ein falsches Statement ist. Ich glaube, die Kunst kann etwas verändern. Aber eigentlich tritt die Kunst ja auch gar nicht an, tatsächlich in wirtschaftliche, politische und planerische Prozesse so einzugreifen, dass sie da Verantwortung übernehmen kann und das richtet, was die jeweiligen Disziplinen nicht hinbekommt. Es gibt also ein Ja und ein Nein zu diesem Statement.
Der Mensch bleibt klein in der 5-Tonnen-Stahlskulptur. Warum?
Die
Architektin Katja Aßmann ist seit Anfang 2012 die künstlerische
Leitung von Urbane Künste Ruhr. Zuvor war sie Leiterin des
Programmbereichs „Stadt der Möglichkeiten“ der Kulturhauptstadt
Europas RUHR.2010, arbeitete für die Landesinitiative StadtBauKultur
NRW und leitete Projekte der Regionale 2006. Sie wechselt im
September nach Berlin ans Schloss
Biesdorf.
Der Mensch bleibt klein, weil wir natürlich die Skulptur so anlegen wollten, dass man sich selbst auch nicht so ernst nimmt. All diese Hysterie rund um die sogenannte Willkommenskultur, die gerade in den Medien so hochgespielt wird, möchte, dass wir überfordert sein sollen mit den Flüchtlingsströmen. All das hat uns dazu veranlasst, zu zeigen, dass wir diese Situationen schon einmal vor 100 Jahren hatten, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Das war aber auch über die Jahrzehnte nie anders. Die großen Warenströme, wie die großen Menschen- und Datenströme, setzen das Flüchtlingsthema in eine ganz andere Relation. Man fühlt sich also ein bisschen klein in dieser Stahlskulptur – ich glaube, das gehört zum Gesamterlebnis dazu.
Wir sind mitten im Schmelztiegel Ruhrgebiet. Wäre diese Installation nicht in Bayern besser platziert? Also, die Bayern können diese Skulptur gerne von uns haben! Ich glaube, das Ruhrgebiet hat hier in Dortmund auch eine große Ankunftsstelle für Flüchtlinge, und München ist natürlich der Erstankunftsort für viele in Bayern – von daher macht es, glaube ich, in beiden Städten gleich viel Sinn. Und da haben Sie ein interessantes Thema angesprochen: Wir führen durchaus Gespräche, die Skulptur auch an andere Orte zu bringen. Und München wäre mir eine Freude.
Die Installation setzt die Wertschöpfungsketten von Material gegen die Wertschöpfungsketten von Migranten? Nicht gegen. Sondern sie werden in Relation gesetzt. Ganz oft hängen sie auch miteinander zusammen. Gerade wenn man die Wertschöpfungskette der Rüstungs- und der Waffenindustrie sieht und wie sich das in die Relation zu den Flüchtlingsströmen setzt. Das ist ja eins zu eins abhängig voneinander. Das war uns wichtig zu zeigen.
Aber wird das zum Teil nicht zu plakativ – wie das Bild des toten kleinen Aylan Kurdi am Strand? Die Arbeit ist natürlich an vielen Stellen sehr plakativ, um es auf den Punkt zu bringen. An anderen Stellen, finde ich, lässt sie aber auch noch ganz viel offen. Und gerade, wenn man nicht nur das Visuelle, sondern auch den Sound mit dazu nimmt, so dass daraus ein Gesamterlebnis wird. Ich glaube, da sind viele eigene Gedanken des Besuchers möglich, die zusätzlich einfließen können.
Kommen wir zur erklärten Subversivität. Wo ist das Gegenmodell dazu? Wir sind nur subversiv. Welches Gegenmodell hätten Sie gerne?
Muss man nicht bei aller gedachten Subversion auch ein Gegenbild dessen vor Augen haben, was man mit der Subversivität eigentlich angreift? Natürlich ist es uns besonders wichtig gewesen, die auch sehr plakative, aber einfältig einfache Argumentation bestimmter politischer Parteien zu unterlaufen, die da sagen, das Flüchtlingsproblem ist unser größtes Problem und deshalb müssen alle Flüchtlinge und am besten auch viele Ausländer wieder aus Deutschland verschwinden. Weil das aber eine Milchmädchenrechnung ist, wollten wir uns da einbringen.
Aber das Gegenmodell könnte auch „Actopolis“ sein? „Actopolis“ – das ist ein wunderbares Projekt, wo wir lange schon mit sechs Städten auf dem Balkan, in ganz Südosteuropa zusammenarbeiten und wirklich überrascht wurden von der aktuellen Flüchtlingsthematik. Wo wir auf einmal gemerkt haben, dass unsere Partnerstädte ja auf dieser sogenannten Balkanroute liegen, und wir all diese Themen nun in einem gemeinsamen kuratorischen Projekt untergebracht haben. Es ist ein ganz anderes Modell, klar. Das kann auf jeden Fall als Gegenmodell gelesen werden. Dankeschön.
Und wie hält man so eine arme Stadt wie Oberhausen in Atem? Ich glaube, es braucht ganz viel Energie und viele Mitstreiter in Oberhausen. Da ist die „Geheimagentur“, die mit uns das Projekt in Oberhausen kuratiert und gleichzeitig mit dem Theater Oberhausen kooperiert. Dafür sind die eigentlich die Besten, denn die holen Reserven aus Leuten raus, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Die haben schon wieder lokale Botschafter für uns gewonnen, die mit uns die Stadt aufmischen. Ich glaube, man muss in Oberhausen wie in vielen anderen Ruhrgebietsstädten unglaublich motivierend unterwegs sein, um die Leute abzuholen und zu zeigen: Auch du kannst was an deiner Stadt verändern. Es macht also sehr viel Sinn, aktiv zu sein und die Stadt wieder in Besitz zu nehmen. Aber es ist schwierig, es ist nicht einfach.
In Dortmund hat es im Unionviertel mit der Subversivität aber schon begonnen? Dortmund hat natürlich – im Vergleich zu Oberhausen – mit der Universität und so weiter schon unglaublich viel Leben, viele eigene Künstlerszenen, Ateliers, das Theater, das sich alles eben auch mit den Studenten vor Ort entwickelt. Da glaube ich, ist Oberhausen ein härteres Pflaster als Dortmund. Das Unionviertel finden wir besonders spannend, weil so viele Blicke drauf gerichtet sind. Das ist ein Kreativquartier, aber spürt man das gerade schon? Es sind unglaublich viele Künstler dort und es werden viele Versprechungen gemacht. Wir sind einfach mal bewusst da reingegangen, denn im Unionviertel hat man eben keine Gentrifizierung, wie man sie an anderen Orten findet, beispielsweise am Phönixsee, wenn man mal das ganze Ruhrgebiet nimmt. Es sind alle Schichten der Gesellschaft, die da gemeinsam in diesem Kreativviertel anzutreffen sind, und das ist auch zu untersuchen. Man muss da reingehen und auch mitarbeiten, das hat uns gereizt. Und deshalb sind wir da ja nicht nur mit der Emscherkunst unterwegs, sondern gehen auch mit dem Favoriten Festival genau in dieses Viertel. Ich glaube, es macht sehr viel Sinn, mit vielen, vielen Initiativen zusammenarbeitend, immer mal wieder an einen Ort zu gehen, um was zu hinterlassen.
Das Favoriten Festival ist das Stichwort. Am Ende sind das doch alles nur Ausreden, oder? Wir werden ausreden. Genau. Im Favoriten Festival werden der Leiter Holger Bergmann und ich unter dem „Ausreden“-Titel einen spannenden Abend erzeugen, wo es darum geht, dass Schauspieler die Redner nachspielen und so eine Diskussion in Gang bringen. Wir werden uns alles ausreden.
Auch die Hinterfragung der eigenen künstlerischen Prozesse? Natürlich. Das ist ja auch das Spannende, was die Darstellende Kunst so ein bisschen in meinen Alltag gebracht hat. In der Bildenden Kunst gibt es das mit der Selbstreflexion zwar auch, aber im Theater ist es viel extremer, habe ich festgestellt.
„well, come“ | bis 24.9. je Sa/So | SAZ Stahlanarbeitungszentrum, Hafen Dortmund | www.ruhrtriennale.de
„Ausreden auf hohem Niveau“ | So 25.9. 15 Uhr | Kino im U, Dortmund | www.favoriten2016.de
INTERVIEW: PETER ORTMANN
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