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Britta-Peters
Foto: Daniel Sadrowski

„Alles entsteht vor Ort, man muss einfach nur kommen“

08. Mai 2023

Britta Peters von Urbane Künste Ruhr über „Ruhr Ding: Schlaf“ – Sammlung 05/23

Nach den Schwerpunkten „Territorien“ und „Klima“ endet mit „Ruhr Ding: Schlaf“ eine Ausstellungstriologie, mit der Urbane Künste Ruhr im Ruhrgebiet großen Fragen nachspürt. Ein Gespräch mit derKünstlerischen Leiterin Britta Peters über Schlafmangel und Kunst nah am Publikum.

trailer: Frau Peters, Inflation, Wohnungsnot, Krieg in Europa – wer soll sich da noch für kunstvollen Schlaf begeistern?

Britta Peters: Das ist eine gute Frage. Letztlich hat unser Schlaf sehr viel damit zu tun, wie wir leben. Und da spielen prekäre Arbeitsbedingungen, da spielt Wohnungslosigkeit eine große Rolle, genauso wie die permanente Sorge in so einem durchflexibilisierten Arbeitsmarkt überhaupt noch einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Der Krieg kommt in den Projekten nicht unmittelbar vor, aber letztlich verursacht er sehr viel Schlaflosigkeit und Alpträume. Darüber berichten in unserem letzten Magazin eindrucksvoll unsere Residenzkünstler aus der Ukraine.

Schlaf hat sehr viel damit zu tun, wie wir leben“ 

Jetzt können alle Stars in ihren eigenen Filmen werden?

Ja, das ist ein tolles Projekt. Michel Gondry ist ja sehr bekannt geworden durch seine Musikvideos für Björk oder Daft Punk und Filme wie „Science of Sleep“ mit Charlotte Gainsbourg. In „Abgedreht“ („Be Kind Rewind“) geht es um zwei Jungs, die auf die Videothek aufpassen müssen. Aus Versehen werden alle Bänder gelöscht und sie müssen die ganzen Klassiker nachspielen, von „Taxi Driver“ bis „Ghostbusters“. Das Gleiche passiert im Grunde in der „Home Movie Factory“. Es gibt vierzehn Bühnenbilder, ein Gefängnis, eine Küche, ein Schlafzimmer, eine Disco. Die bis zu 15-köpfige Gruppe entscheidet am Anfang, ob sie eine Love Story, Science-Fiction oder einen Krimi drehen will. Das Ganze dauert drei Stunden, der Schnitt findet in der Kamera statt. Es geht nicht um Perfektion, es geht darum, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen.

Muss man ein Drehbuch mitbringen?

Nein, alles entsteht vor Ort, man muss einfach nur kommen. Gruppen können sich auch als Gruppen anmelden, wenn sie zusammen bleiben wollen. Es gibt bestimmte Zeiten, wann ein Zyklus losgeht, es gibt auch eine extra Internetseite dafür, die sich über die Seite von Urbane Künste Ruhr ansteuern lässt.

Legalisierte Street Art gibt es auch?

Das ist unser tägliches Brot, diese ganzen Genehmigungen zu besorgen. Eben mit sehr viel Charme und Überzeugungskraft die Behörden dazu zu bringen, uns Dinge machen zu lassen, die ansonsten im öffentlichen Raum selten vorkommen. Kunst spielt ja immer eine Sonderrolle. Aber unser Programm ist angekündigt und alles ist legal.

Unser Programm ist legal“

Das artifizielle Bespielen von alten Kiosken ist im Ruhrgebiet nicht neu …

Das ist tatsächlich nicht neu. Aber die Künstler*innen haben diese Orte gewählt. Wir haben einen sehr langen Prozess in der Ausstellungsentwicklung. Viron Erol Vert hat neben dem Kiosk in Mülheim an der Ruhr gewohnt, als er bei uns in der Residenz war und er ist da immer vorbeigegangen. Da hat er sich gedacht, was ist das für eine Schande, so ein großer öffentlicher Platz, aber er wird nur von Autos zugeparkt und der Kiosk liegt brach. Er hat mich angesprochen und gesagt, lass uns irgendetwas mit diesem Kiosk veranstalten. Bei Wojciech Bąkowski haben wir nach einer Guckkastensituation gesucht und hatten zuerst noch einen anderen Ort im Blick. Aber das hat sich zerschlagen und die Situation an der Steeler Straße mit der Tram-Haltestelle ist perfekt. Bąkowski macht sehr spezielle Zeichnungen auf aufgerautem Karton, in denen er versucht, die Räumlichkeiten aus seinen Träumen zu übersetzen. In Kooperation mit dem Neuen Essener Kunstverein zeigen wir auch eine Einzelausstellung mit ihm. Sein Kiosk ist fast das Gegenteil von dem Kiosk von Viron Erol Vert. Während man bei Viron Erol Vert das Gefühl hat, es geht um sehr viele künftige Möglichkeiten, ist es bei Wojciech Bąkowski mehr ein albtraumartiges, dystopisches Szenario.

Kunst kann Innenstädte wieder bewohnbar machen“

Auch Kunst wird nicht die alten Kaufhäuser retten, und der Bergbau im Weltall nicht das Ruhrgebiet, oder?

Nein, retten kann die Kunst die Kaufhäuser nicht. Aber die Kunst kann die Gebäude der ehemaligen Kaufhäuser besetzen. Sie kann die Innenstädte neu definieren, beleben und wieder bewohnbar machen. Mit diesen Innenstädten, die eigentlich tot sind, wo auch abends nichts mehr los ist, geht ja auch ein großer Verlust an öffentlichem Raum einher. Dabei sind es die zentralen Orte in den europäischen Städten. Und die Installation „AdAstra“ vonNadia Kaabi-Linke mit Bezügen zumAsteroidenbergbauist eine, wie ich finde, interessante Beschäftigung mit der Ausbeutung von Ressourcen im All – mit dem Traum von Elon Musk und anderen. Am Ende droht sich dieser Wahnsinn, den wir hier auf der Erde betrieben haben, auf dem Mars fortzusetzen.

Wenigstens die letzte Telefonzelle in Essen schäumt den Nutzer nur noch ein.

Ja, genau. Aber in Gelb, nicht in Magenta. Stephanie Lünings Schaumarbeit harmoniert mit der Telefonzelle, aber auch mit dem Häuserblock dahinter und der in Gelb gehaltenen Fassade. Das ist schon sehr surreal. 

Am Ende droht sich dieser Wahnsinn auf dem Mars fortzusetzen“ 

Kunst: „dream sequence - preliminary concept“, © Yuri Pattinson

Kann sich aktuelle Kunst nur noch jenseits traditioneller Räume den sozialen und politischen Themen unserer Zeit widmen?

Grundsätzlich widmen sich ja auch zahlreiche Ausstellungen in den Häusern, in den Institutionen politischen und sozialen Themen. Das würde ich daher so nicht sagen. Aber die Kunst im öffentlichen Raum oder in den nicht für Kunst vorgesehenen Räumen hat ein größeres Potential, ein breiteres Publikum miteinzubeziehen. Dadurch, dass man neugierig wird, weil man ständig an der gelben Telefonzelle vorbeigeht und denkt, irgendetwas stimmt hier nicht, kommt man mit dem Ruhr Ding in Berührung. Unserer Projekte sind ja offen zugänglich, sehr ansprechend, wenn man so will. Und im Idealfall führt die Neugier dann dazu, dass sich Menschen auf den Weg machen, der Ausstellung zu folgen.

Geht die Entwicklung in der Kunst vom haptischen Werk zur Installationstour durch die Welt?

AlleFormen existieren nebeneinander. Gerade im öffentlichen Raum eignen sich Formate wie Audio-, Sound- und Lichtinstallationen besonders, weil sie die Räume ortsspezifisch und kontextbezogen nutzen können. Aber wir haben eine sehr große Bandbreite. Die Arbeit „Sounds of the Multitude“ von Nik Nowak ist ja nicht nur ein Soundsystem, das als Instrument und Verstärker funktioniert, sondern es ist auch eine Skulptur. Eine sehr monolithische Skulptur.

Ruhr Ding: Schlaf | 5.5. - 25.6. | Mülheim, Essen, Witten, Gelsenkirchen-Erle | www.urbanekuensteruhr.de

Interview: Peter Ortmann

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