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Sofie Muller, Tristan auf einer Bank, 2007, patinierte Bronze, Leihgabe aus Privatbesitz
© Sofie Muller

„Wahlverwandtschaft zwischen Kunst und Medizin“

30. März 2017

Jürgen Kaumkötter über die Ausstellung „Kunstwerk Leben“ in Solingen – Sammlung 04/17

Medizin ist ein fester Bestandteil unserer Kulturgeschichte, aber sie beschäftigt auch die Kunst. Dabei geht es manchmal um Leben und Tod. Jürgen Kaumkötter, Kurator der Ausstellung „Kunstwerk Leben“ im Solinger Zentrum für verfolgte Künste spricht da auch über Monster und ihre Macht.

trailer: Herr Kaumkötter, hätte die Ausstellung nicht auch „Lebenswerk Kunst“ heißen können?
Jürgen Kaumkötter: Sie hätte durchaus auch „Lebenswerk Kunst“ heißen können. Bei „Kunstwerk Leben“ haben wir allerdings den Fokus mehr auf das Leben selbst gelegt. Das Leben und insbesondere das Überleben zu zeigen, war unser Ziel hier in der Ausstellung. Auch die Wahlverwandtschaft zwischen Kunst und Medizin zeigen – und das ist im Grunde genommen der Untertitel – aber vor allen Dingen die Wirkgewaltigkeit der Kunst, und die nicht nur biografisch.

Aus welchem Kontingent speisen sich die Arbeiten in den drei Rubriken?
Aus internationalen Leihgaben. Wir haben Leihgaben aus Polen, aus Großbritannien, aus Frankreich, aus Italien, von privaten Sammlern und Künstlern, die uns bestimmte Dinge zur Verfügung gestellt haben. Und was uns sehr freut: Wir zeigen auch eine Künstlerin, die exklusiv etwas für uns gestaltet hat. Es ist Kat Menschik, die nicht nur bekannt wurde, weil sie jeden Sonntag das Feuilleton der FAZ gestaltet, sondern auch mit Hans Magnus Enzensberger die Andere Bibliothek herausgegeben hat, und im Verlag Galiani eine Reihe von Literaturklassikern illustriert. Sie hat uns das Cover gestaltet, ein Herz mit einer Corona aus laufenden Menschen. Also da wäre ein Titel „Lebenswerk Kunst“ auch angebracht.

Wenn man die Verbindung zwischen Kunst und Medizin sieht, wäre es da nicht sinnvoll gewesen, sich auch den Leib, den Körper vorzunehmen als denn das Leben an sich?

Jürgen Kaumkötter
Foto: Maxi Braun

Zur Person

Jürgen Kaumkötter M.A., Jahrgang 1969, ist Kunsthistoriker und Historiker mit Schwerpunkt Exil- und Holocaust-Kunst. Er kuratierte Ausstellungen wie „Der Tod hat nicht das letzte Wort“ und „Die verbrannten Dichter“. Er gestaltete 2014 die Ausstellung des Bundestages zum 70. Jahrestag von Auschwitz, lebt in Berlin und kuratiert momentan im Solinger Zentrum für verfolgte Kunst.


Na ja, es ist ja beides, Körper und Geist. Oder der gesunde Geist wohnt in einem gesunden Körper, um das mal in so eine Richtung zu drehen. Es ist hier im Haus natürlich viel Kunst zu sehen, die den Menschen geholfen hat, zu überleben und zwar auch geistig. Wir haben ein Kunstwerk, das die körperliche Unversehrtheit thematisiert und zwar ist es ein Bein einer polnischen Künstlerin, die als Kind ihres bei einem Unfall verloren hat, und dann hat sie sich als Künstlerin ein Bein nachgestaltet. Und das altert mit ihr. Diese Arbeit reicht immer weiter – bis in die Gegenwart und darüber hinaus, sie hat das geschaffen, um sich die Unversehrtheit in der Kunst wieder zu kreieren.

Der Körper als Kunstwerk hat was von Josef Beuys, aber die Arbeit an der sozialen Plastik ist heute doch längst eingestellt?
Nein. Wir sind ja das beste Beispiel, als Institution, dass es das noch gibt. Und der Geist von Beuys schwebt auch mit uns. Ich war gerade auf der Berlinale, wo die große Beuys Dokumentation Premiere hatte. Und da wurde es richtig voll. Also Beuys‘ Geist lebt, ist sehr präsent, und das hat man während des Films auch gemerkt. Wir hätten gerne auch Exponate von ihm gezeigt. Wir hatten welche und haben dann darauf verzichtet, weil man nicht einfach nur ein Exponat nehmen kann, da hätte man mehr von ihm zeigen müssen. Vielleicht wird das auch noch einmal kommen, denn nicht nur Körper/Geist versus Leben oder soziale Plastik, sondern auch sein gesellschaftspolitisches Engagement gilt es – ganz wichtig – wachzuhalten und das immer wieder mit auszustellen. So dass nicht nur die Kunst in die Museen transportiert wird, sondern dabei auch das zu zeigen, was Beuys ja eigentlich war, nämlich ein gesellschaftlich agierender Mensch, ein Zoon politikon.

Aber ist nicht die Arbeit des Einzelnen an seiner eigenen Plastik längst eingestellt, zugunsten eines umfassenden Egoismus?
Nein, das stimmt nicht. Diese Arbeit machen noch ganz, ganz viele. Nur die rechtspopulistischen Krakeeler sind heute lauter und die Medien berichten lieber über Katastrophen als über das kleine demokratische Wunder, was jeden Tag passiert. Ich komme gerade von Jürgen Klauke und habe noch ein Werk bei ihm ausgewählt. Selbstverständlich waren wir uns innerhalb von einer Nanosekunde einig über unsere gesellschaftspolitische Einstellung. Jenseits von Europa haben wir keine Zukunft. Und außerhalb der Demokratie und einer pluralistischen Gesellschaft noch weniger. Diese Ausstellung „Kunstwerk leben“ ist nur mit Hilfe eines polnischen Museums entstanden. Wir haben uns zusammengetan, die Polen haben den Leihverkehr für uns mitorganisiert, wir teilen uns die Transportkosten und alles in einer Zeit, in der wir natürlich immer aufs Geld achten müssen.

Analogie Schamanismus, Frankenstein, Mengele – ist Medizin tatschlich eine Kulturleistung oder doch nur der Wunsch nach Ewigkeit?
Der Wunsch, zu gestalten, ist immanent im Menschen. Die nationalsozialistischen Verbrechen sind im Grunde genommen die Entfesselung, die mit der Aufklärung schon begann, also die Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Das bedeutete auch die Entfesselung des Monsters, das aus jeden Schranken heraus agieren kann. Auschwitz ist der Tiefpunkt. Das ist die unterste Ebene der Hölle. Und die menschlichen Experimente, die da gemacht wurden – wir hatten gerade die polnische Autorin Zofia Posmysz im Haus, die in der Krankenabteilung bei Mengele war und nicht darüber spricht. Weil sie sagt: „Ich kann es euch nicht erklären, was ich erlebt habe, ist für euch, die ihr nicht dagewesen seid, nicht verständlich.“ Ich habe sehr viel zu Mengele recherchiert. Ich hätte die Entwicklung seiner Doktorarbeit hier ausstellen können, ich könnte seine ganze Zwillingsforschung hier darlegen. Ich habe drauf verzichtet, weil diese Position so stark ist, weil das Monster fast so groß wie Godzilla ist und die anderen feinen Stimmen dann stumm werden würden. Deshalb habe ich mich entschieden, wir haben die anderen Positionen da, ich habe auch einen Supermann da, also den Golem. Der ist von Rabbi Löw geschaffen worden, auch um die Juden im Prager Ghetto zu schützen. Und Frankenstein gehört genauso dazu. Mary Shelley ist in dem Katalog auch enthalten, weil dort eben dieser Kreationismus da ist. Aber gleichzeitig, und das ist das Großartige am Frankenstein, ist es ja ein sehr moralischer Roman, der sagt, das alles ist nicht gut und Frankenstein und das Monster verschwinden dann am Ende ja auch.

Die Zukunft wird unmenschlich. Cyborgs bevölkern heute schon die Welt. Ist das dann eine neue Kunstgattung?
Ja, so ist der Mensch. In diesem Wunsch, kreativ zu sein, etwas zu schaffen, ist die Grenze nach oben natürlich immer offen. Wir werden uns in der Zukunft noch wundern, was alles möglich ist. Und zwar auf der guten Seite, um allen zu helfen, aber ganz bestimmt, und da bin ich mir, nachdem ich fünf Jahre in Auschwitz gearbeitet habe, sicher, auch auf der bösen Seite.

„Kunstwerk Leben – Bilder, Installationen und Objekte zu Medizin, Menschenwürde und Hoffnung“ | 1.4.-2.7. | Zentrum für verfolgte Kunst im Kunstmuseum Solingen | 0212 25 81 40

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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