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Die Theatergruppe zieht zu lange mit einem Musical namens „Barbarellapark“durch die Lande
Foto: Roman Hagenbrock

Wir versuchen die eigene Geschichte mit „Barbarella“ zu verbinden

28. November 2013

copy & waste setzen sich in ihrem Musical mit dem Thema Mobilität auseinander – Premiere 12/13

Eine Theatergruppe zieht seit Jahren mit einem Musical namens „Barbarellapark“durch die Lande. Die naive und freizügige Astronautin Barbarella (im Pop-Film-Klassiker von 1968 gespielt von Jane Fonda) soll mal wieder das Universum retten. Diesmal geht es jedoch nicht um den Frieden zwischen den Planeten, sondern die Ankurbelung der Weltwirtschaft. Barbarella vertritt das vermeintlich so freie Leben in globalisierten Städten und soll den flexiblen und mobilen Arbeitsstil der creative class im gesamten Universum verbreiten. Ein Musical über Mobilität, Sex und Verwirrung!

trailer: Muss das ganze Universum nicht mehr gerettet werden?
copy & waste:
Also wir konzentrieren uns zunächst einmal auf die Geschehnisse auf der Erde, aber der Trick ist, so wie auch bei „Barbarella“ und bei Science-Fiction letztlich immer, dass irdische Begebenheiten ausgeweitet werden. So wird es auf der Bühne auch sein. Klar, Space ist auf jeden Fall ein Thema und da gibt es allein von der Ausstattung her sehr viele Anklänge daran. Wir beschäftigen uns erst mal mit globalen Phänomenen, mit Phänomenen, die wir auf unserer Erdkugel vorfinden. Das reicht vom Thema Mobilität, also wohin muss ich fahren, um meinen Job zu verrichten, bis in die Psyche, also nur innerlich mit der Frage, wie muss ich mich eigentlich verändern oder verbiegen, um bestimmte Jobs überhaupt auszuführen. Und bis hin zu den Menschen, die ihre Heimat eben verlassen müssen, weil sie da aus politischen Gründen nicht bleiben können. Das alles steckt in „Barbarella“ schon mit drin, auch in der Comicvorlage. Das sind ja politische Themen aus der damaligen Zeit, die in diesen Kosmos gegossen wurden. So ähnlich machen wir das auch. Wir konzentrieren uns in dem einen Strang mit der Musicalgruppe auf die Erde, es kreist um diesen Gedanken von Space als einem sozialen Raum.

In der Mobilität immer wichtiger wird?

copy & waste

Foto: Björn Stork

Bei copy & waste geht es immer um die konkurrierenden Ansprüche, Geschichten und Realitäten, mit denen unterschiedliche Gruppierungen diese Öffentlichkeit gestalten. Die Gruppe um den Autor Jörg Albrecht, den Regisseur und Schauspieler Steffen Klewar und die Dramaturgin Wilma Renfordt arbeitet als Kollektiv und kollaboriert je nach Zuschnitt der Projekte mit anderen Künstler.

Die findet man auch im Film und sie ist bei uns auch ganz stark. Doch darin gibt es auch eine Widersprüchlichkeit. Da wird Mobilität als Lösung behauptet, wird aber eigentlich auch mit Problemen verbunden, von der CO2 Belastung bis hin zu Menschen, die am Ende mit einem Burnout daliegen, weil sie nirgendwo mehr zuhause sind. Das zeigt sich ja auch in der Frage mit den Flüchtlingen. Da ist Mobilität zwar zunächst eine Lösung: Ich verlasse mein Land, aber eigentlich will ich lieber zuhause bleiben. In „Barbarella“ stecken diese Widersprüchlichkeiten auch. Wir haben in der Gruppe auch viel diskutiert, was ist das eigentlich für ein Frauenbild in dem Film, ist das schon eine Persiflage oder reproduziert es das Ganze? Auch der Umgang mit Sexualität – jetzt haben die da eine „Pille“ und plötzlich sind alle ganz wild und was macht das mit der Sexualität. Der Film fällt ja auch in die Zeit, wo die Pille aufkam.

Und wir stehen vor der politisch motivierten Verklärung des Ruhrgebiets?
Für die Verklärung des Ruhrgebiets stehen wir nicht unbedingt. Man steht ja hier eigentlich schon vor den Trümmern dieser postindustriellen Geschichte. Man findet natürlich immer wieder schöne oder auch schön gemachte Punkte. Wir haben uns in der Arbeit, auch wenn alles auf das Ruhrgebiet zutrifft, auf Mobilität überhaupt zu beschränken versucht. Auch weil es hier dieses ewige Hin- und Herpendeln gibt, das Ruhrgebiet wurde ja auch mal als Roadmovie beschrieben, die Leute sind ja sowieso immer auf Achse. Aber wir haben jetzt gar nicht konkret vor Ort geschaut, wie das dort aussieht, wir wollten wissen, was bedeutet das für uns. Es war deshalb auch spannend einen Film zu nehmen, der eigentlich eine Generation vor uns liegt, und für die damalige Generation in gewissem Sinne auch prägend war. Aber wir fragen auch, wie ist es seitdem weitergegangen? Dass das, was damals als großes Freiheitsversprechen, Freiheit von Sexualität, neue Arbeitsformen und so weiter galt, sich heute schon wieder ins Gegenteil verkehrt hat. Da setzen wir eigentlich an. Wir versuchen die eigene Geschichte mit „Barbarella“ zu verbinden.

Also doch kein Angriff auf die politisch gewollte Verklärung des Ruhrgebiets?

Dieses Mobilitätsthema hat natürlich auch einen Bezug zu dieser kreativen Blase oder zu den Hoffnungen, die sich an eine so genannte Kreativwirtschaft binden. Das ist etwas, was man hier im Ruhrgebiet sehr zugespitzt beobachten kann, wo man wirklich versucht – in Berlin wird das natürlich genauso versucht – kreative Leute anzulocken; aber hier erscheint uns das irgendwie besonders pointiert, wenn man versucht, auch in Nachfolge von Ruhr 2010 irgendwelche Kreativquartiere aufzubauen, im Sinne einer Kreativwirtschaft. Wir fragen uns, was steckt da eigentlich hinter? Was für eine Ideologie und ist das wirklich etwas, was hier funktionieren kann und wenn es mit Arbeits- und Lebensformen verbunden ist, überhaupt etwas ist, das wir uns wünschen würden oder irgendwie gut wäre für diese Region. Wir versuchen das über „Barbarella“ zu spiegeln und nicht einfach zu sagen, was soll das eigentlich hier mit Ruhr 2010. Da kommt man dann schnell in so komische Grabenkämpfe, in die man gar nicht rein geraten will. Das Wort Ruhr fällt auch kein einziges Mal.

Und warum ein Musical?
Weil es fancy ist. Punkt.

Aber wenn die wichtigen Diskussionen sowieso erst nach dem Vorhang stattfinden?
Na ja, eine Musicalgruppe schien uns interessant, weil es ja eine Form der Darstellenden Kunst ist, die ganz vehement auf den Vermarktungsaspekt zugespitzt ist. Musicalshows wie „Starlight Express“ gibt es ja nicht nur in Bochum, sondern auch sonst wo, das sind zwar meistens unterschiedliche Kompanien, es schien uns aber glaubwürdig zu behaupten, es gibt hier eine Musicalgruppe, die mit einem Stück durch die Lande tourt und das nie abgespielt wird. Also irgendetwas, was vor 10 Jahren genauso gespielt werden konnte, wie heute. Was einfach zu erfolgreich ist, um damit aufzuhören.

Aber Rollschuhe gibt es nicht?
Es wird tatsächlich einige Szenen mit Rollschuhen geben.

Und eine Lustorgel?
In dem Film ist es ja so, dass die Lustorgel irgendwann kaputt geht, weil Barbarella einfach zu starkdanke!, zu widerstandsfähig ist. Sie kann, womit der verrückte Wissenschaftler ja nicht gerechnet hat, mehrere Orgasmen haben, was man als Mann einfach nicht verstehen kann. Was uns hier interessiert, ist dieses immer wieder anders ansetzen, diesen Strukturwandel auch immer wieder anders hervorrufen. Das hat ja auch viel mit Lust machen zu tun. Wenn man sich zum Beispiel Urbane Künste Ruhr ansieht, die gerade wahnsinnig viel machen, da geht es ja die ganze Zeit auch darum, dass alles noch bunter, noch größer, noch eventmäßiger werden soll und es soll auch immer mit Kunst zu tun haben. Ein Grundthema, das uns auch beschäftigt hat ist, wie produziert man Attraktivität? Das ruft ja beim anderen Lust hervor und deshalb passt Musical so gut, weil es da die ganze Zeit darum geht, dass der Körper möglichst eine Attraktivität ausstrahlt. Diese Verbindung von Sexualität, ich würde fast sagen Pornografie, und Kunst interessierte uns. Wie weit geht man eigentlich in der Vermarktung der eigenen Persönlichkeit und was ist daran noch Attraktivität produzieren und was ist schon Pornografisches, ein sich eigentlich Verhuren?

Brauche ich im Ringlokschuppen statt einer Strahlenkanone den Barbarellapark-Jutebeutel?
Den braucht man total dringend. Ohne würde niemand ausgehen. Den Strahler gibt es allerdings auch. Aber den kann man nicht kaufen. Aber da könnten wir mal über eine Sonderedition nachdenken. Es gibt aber Merchandising auf jeden Fall. Der Bleistift ist das preiswerteste Produkt. Buttons verschenken wir.

„Barbarellapark“ | Fr 6. und Sa 7. 12. 2013, 19.30 Uhr | Ringlokschuppen Mülheim | Infos: 0208-99 31 60

Premiere Theater Oberhausen | Fr. 24.1.2014 | 19:30 Uhr | Infos: 0208-8 57 81 84

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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