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Foto: Irma Flesch

Das bedrohte Deutschtum

31. Mai 2013

Die Kunst ist frei, die Opernintendanz ist feige – Magenbitter 06/13

Neulich spät abends vor der Glotze. „Total Recall“ von 1990 mit Arnold Schwarzenegger und einer damals ziemlich unbekannten Sharon Stone. Ein Science Fiction-Klassiker nach Phillip K. Dick, der eigentlich gute Unterhaltung versprach, doch an diesem Abend mit dem Hinweis begann, er sei erst für Zuschauer ab 16 Jahren geeignet. Mich machte das nicht stutzig, kannte ich den Streifen doch, und außer der Operation des bösen Spions aus Arnis Nase und den verunstalteten Gesichtern der armen verstrahlten Marsbewohner war da nicht viel zu fürchten. Denkste. Irgendwie hatten sich vehement brutale Szenen in den Film geschlichen, mit viel Blut und sogar abgehackten Armen (beim Ableben von Michael Ironside als Richter) in Nahaufnahme. Mein Gurkenhäppchen blieb jedenfalls locker im Halse stecken, ich mag halt so was nicht, nicht im Horrorfilm und schon gar nicht in der Realität. Dennoch musste ich sofort an die rote Loseblattsammlung denken. Grundgesetz, Art. 5, Absatz 3: Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Und dieses Grundrecht ist für mich ein Granitfelsen, durch nichts zu erschüttern, Blut, Sperma, Fäkalien wo auch immer im Kunstbetrieb zu finden, ich werde selbst Erbärmlichkeiten wie ein Tiger verteidigen.

Und nun das: Die Deutsche Oper am Düsseldorfer Rhein hat die „Tannhäuser“-Inszenierung von Regisseur Burkhard C. Kosminski abgesetzt. Der hatte Nazi- und Holocaust-Szenen gezeigt, und so auf den glühenden Antisemitismus des ollen Richard Wagner hingewiesen. Der deutsche Zuschauer reagiert wie erwartet, diese Schelte konnte er weder psychisch noch physisch ertragen, Buhen im Gleichschritt, und mancher Besucher begab sich im Anschluss gleich in ärztliche Behandlung. Ein Knaller auf der Bühne: Rheinoper-Intendant Christoph Meyer zeigte sich bestürzt über die heftigen Reaktionen. Wahnsinn.

In mir steigen andere Szenen hoch: Die Stufen auf die Aussichtsplattform des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig sind schmal und steil. Von oben hat der Besucher einen grandiosen Blick über die Stadt. Unten kann er sich an mächtigen, martialischen Totenwächtern erfreuen, „die die Tugenden des deutschen Volkes in den Befreiungskriegen (Tapferkeit, Glaubensstärke, Volkskraft, Opferbereitschaft) darstellen“ sollen. Niemand fällt hier in Ohnmacht, niemand fühlt sich unwohl, kein drohender Herzinfarkt in Sicht. Ein junger Mann im Anzug, mit merkwürdig gescheitelten Haaren und winzigem NS-Pin am Revers fällt da kaum auf, anders als bei den jährlichen braunen Aufmärschen am Kyffhäuserdenkmal, wo manche noch immer auf den wiedererwachten Barbarossa warten, sicher sehr zur Freude von Deutschtümlern, Wagnerianern und Europafeinden. Hier gibt es wenigstens ab und an ein paar Demonstrationen. Doch die deutsche Dummheit ignoriert das Ganze lieber. Ganz anders ist das natürlich, wenn man treu eine Wagner-Inszenierung besucht – hat der Führer eben auch immer gern gemacht – der Bürger liebt anscheinend stundenlanges Geringe um Mythos, Heldentum und verlorene Liebe, und natürlich deutsche Historien-Folklore als üppiges Singspiel. Wehe, wer das in den Dreck ziehen will.

Peter Ortmann

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