Es waren einmal zwei Täubchen, nennen wir sie, na sagen wir mal Angela und Peer. Die beiden hatten ein gar lustiges Leben. Täglich brachte man ihnen frisches Wasser und ein paar Körner und so lebten sie tagein tagaus fröhlich vor sich hin, bis dem alten Michel die roten Heller ausgingen und er bald kaum noch etwas zu beißen hatte. Und da trat er vor den hölzernen Schlag und sprach: Ihr seid alles was mir geblieben ist und einem von euch beiden muss es jetzt an den Kragen gehen, denn mein ganzes Geld ist aufgebraucht und ich muss doch etwas zu essen haben. Allerdings konnte er sich an ersten Morgen nicht entscheiden, welches der Täubchen er als erstes schlachten wolle. Und so quälte er sich noch über einen weiteren Tag mit ein paar kleinen Brotkrumen und kaute stattdessen griesgrämig auf seinem schmalen Gürtel.
Den beiden Vögeln war die miese Laune ihres Souveräns nicht entgangen, doch irgendwie konnten sie sich keinen Reim darauf machen, schließlich schien die Sonne und der fette Hahn der Nachbarin krähte, alles war doch wie immer. Das heute nur frisches Wasser, aber keine Körner gereicht wurden, fanden sie zwar außergewöhnlich, aber nicht so wahnsinnig schlimm, denn sie hatten ja bisher nie darben müssen und so bemerkten sie das Fehlen eigentlich gar nicht, flatterten vergnügt im Schlag herum und vertrieben sich die Zeit mit sinnlosen Späßen, mit Strohhalmen sortieren und kleineren Gurr-Attacken, die ja sonst auch immer viel Freude erzeugt hatten.
Am zweiten Morgen ging es dem Michel noch viel schlechter, denn weil er ein guter Mensch war, hatte er gestern noch der Nachbarin im Garten geholfen, seine Hütte noch einmal nach etwas Essbarem abgesucht und sein Habe sortiert. Doch selbst Schmalhans als Zahlmeister brachte da nichts von irgendeinem Wert ans Tageslicht, selbst die letzten Kerzenstumpen waren verbraucht. Michel hatte die Nacht im Dunklen verbracht. Jetzt stand er wieder vor dem rostigen Eisengitter zum Taubenschlag und starrte auf die wohlgenährten Vögel, die unruhig hin und her liefen, leise gurrten und augenscheinlich auf ihr Futter warteten. Dabei starrten sie den Michel freundlich an, pickten hier und da, tänzelten leichtfüßig durch die Strohkissen, erschraken nur kurz, als der Magen des Michel vor Hunger zu knurren begann. Der stellte ihnen frisches Wasser hin und legte eine Hirsestange dazu, die die Nachbarin ihm gestern geschenkt hatte. „Für die Süßen“ hatte sie leise gemurmelt, „für die Süßen“. Der Kochtopf blieb einem von ihnen auch an diesem Morgen erspart.
Abends wälzte sich Michel schweißgebadet auf seinem kargen Lager. Sein Magen schmerzte vor Hunger, die Augen tränten. Er fasste sich ein Herz und kramte mit letzter Kraft nach dem scharfen Messer in der Küchenschublade, morgen sagte er sich, morgen ist es soweit, dann schlief er erschöpft ein. Als die Sonne schon hoch am Himmel stand, kam die Nachbarin vorbei, um nach dem Rechten zu sehen, so spät war der Michel schließlich noch nie auf den Beinen gewesen. Sie fand ihn tot auf dem wenigen Stroh, das ihm noch geblieben war. Schnell wand sie ihm das Messer aus der Hand, hüpfte zum Taubenschlag. Das letzte was von dort zu hören war, war ein wildes Flattern und zwei dumpfe Schläge.
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