Die Zukunft der europäischen Opel-Werke wird in Detroit entschieden. Nicht nur in Bochum, sondern auch in den Opel-Städten Saragossa, Ellesmere Port und Gliwice hängen die lokalen Entwicklungen von globalen Bedingungen ab. Urbane Künste Ruhr fragt gemeinsam mit dem Schauspielhaus Bochum nach der Zukunft der Stadt, der Arbeit und der Kunst in Europa.
trailer: Frau Reich, Herr Kröck, welches Auto fahren Sie?
Olaf Kröck: Ich fahre keinen Opel – sondern ein rumänisches Auto, einen Kombi mit einem französischen Motor, und bin sehr glücklich darüber.
Was ist das Detroit-Projekt?
Sabine Reich: Wir fragen uns, was passiert mit den großen, postindustriellen Zentren? Weil viele dieser Städte Motortowns waren, wo Autos gebaut wurden. Und was passiert, wenn das gefährdet ist oder gar nicht mehr vorhanden? Das ist die zentrale Frage. Wie kann man den Umbau mit den Einwohnern zusammen gestalten? Und „Detroit“ ist der Titel, weil es das abschreckende Beispiel ist, wie man es nicht machen sollte, wie eine Stadt untergeht und die Leute unter diesen Verlusten leiden.
Aber Bochum ist nicht Detroit?
Reich: Bochum ist nicht Detroit, und wir denken auch nicht, dass Bochum Detroit wird. Bochum hat ein ganz anderes Potential, und das hat viel mit den Kunstprojekten in dieser Stadt zu tun und damit, wie Theater und Kunst seit Jahren diesen Strukturwandel begleiten.
Kröck: Deshalb machen wir ein Kunstfestival, indem wir Künstlerinnen und Künstler einladen, genau diese Fragestellung mit Mitteln der Kunst zu untersuchen. Begleiten werden wir das dann zusätzlich mit Symposien, intellektuellem Austausch, Diskursen, aber auch natürlich öffentlichen Bürgergesprächen. Denn wir glauben, dass wir die Möglichkeit haben, mit künstlerischen Mitteln wirklich radikale Zukunftsvisionen zu entwerfen.
Und die Künstler kommen alle aus Opel-Standorten?
Kröck: Die kommen aus Ländern, in denen sehr große Opel-Standorte sind. Das sind jetzt nicht zwingenderweise ausschließlich Künstler aus Saragossa, Gliwice und Ellesmere Port oder Detroit, sondern es sind Künstler aus Spanien, Polen, Großbritannien, den USA und eben aus Deutschland.
Reich: Aber wir haben auch Kontakte zu Liverpool, eine Stadt, die sich seit Jahrzehnten um die Fragen nach Strukturwandel, Postindustrie, und wie man sich neu aufstellt, bemüht. Dort gibt es sehr viele Künstler, die sich schon lange speziell mit solchen Fragen auseinandersetzen. Und da gibt es Wissenschaftler, Universitäten und Ausstellungshäuser, die alle mit ihren Erfahrungen Partner werden. In Saragossa und Polen gibt es auch solche Stadtumbauprojekte, da sind wir auch in Kontakt.
Kröck: Gerade in Polen gibt es ja den umgekehrten Effekt, dass man jetzt erst mal den Punkt von Detroit erreichen will, als es zur Boomtown wurde.
Müssen Künstler jetzt die Städte retten?
Kröck: Nein, auf gar keinen Fall. Aber Künstler haben die Chance, einen Stachel zu setzen, eine Frage sehr pointiert sichtbar zu machen. Weil alle, die in Bochum mit der Schließung von Opel beschäftigt sind, mit einem politischen Pragmatismus vorgehen müssen. Sie müssen sich fragen, was mit der Fläche passiert, was mit diesen 4.000 Menschen, die ihren Job verlieren. Das kann Künstlern alles egal sein, und trotzdem können sie, indem sie sich Leuten in den Weg stellen, so ein Thema in einem brennglashaften Vorgang groß werden lassen.
Und das geht dann alles nur sehr langsam mit Slow Food, Slow Thinking?
Reich: Das ist eine Veranstaltung, die wir so genannt haben. Es gibt bestimmt auch Künstler, die sich ganz schnelle Prozesse wünschen.
Kröck: Das ist interessant, weil Detroit in den USA für die Kunst im Moment als eine der hippsten Städte der Welt angesehen wird – neben Berlin. Für mich ist diese ganze „Metropolen“-Behauptung, die rund um 2010 für das Ruhrgebiet entworfen worden ist, nicht so interessant. Aber bei der Frage, wie diese Region endlich ihre Hipness, die sie ja zweifelsohne hat, auch sichtbar machen kann, können wir viel von Detroit lernen.
Was sind das für Experten für die Zukunft der Stadt und der Arbeit?
Reich: Das sind zwei Gruppen, mit denen wir arbeiten. Das eine sind wirkliche Künstler, die im Rahmen des großen Sommerfestivals 2014 auch richtige Werke hier präsentieren werden. Neue Arbeiten, die es vorher noch nicht gab. Das andere ist im Bereich des Symposiums das internationale Labor. Wir finden, dass man die Debatten auch auf einer ganz anderen Ebene als der Kunst führen muss. Dazu gibt es verschiedene politisch intellektuell engagierte Gruppen. Einmal in Spanien, in Polen und in Liverpool, die wir zu einer Art Netzwerk zusammenschließen. Die werden auch reisen mit ihren Arbeiten, da sind Wissenschaftler dabei, aber auch Theoretiker, Autoren, Forscher, Aktivisten, Teil des großen Detroit-Projektes. Dieses Lab – so nennen wir das – stellen wir am Freitag tagsüber vor. Am Abend gibt es eine Art Show auf der Bühne, wo wir die Künstler, Denker und Aktivisten einführen.
Kröck: In den 1970er und 1980er Jahren war das hier in Deutschland überhaupt gar kein Widerspruch, dass jemand politische Aktivität an den Tag legt, obwohl er selber Künstler ist, sei es ein Autor oder ein Bildender Künstler. Das scheint sich hier vor Ort verändert zu haben, als dass man es nun als Widerspruch empfindet. Entweder du bist ein Künstler oder du bist politisch Aktiver. In den Ländern, mit denen wir kooperieren, stellen wir fest, dass da die Trennung noch nicht so vollzogen worden ist.
Reich: Ja, das ist auch eine Frage der Verteilung. Es gibt Gruppen, die sich für ein Grundeinkommen engagieren, andere, die extrem um Arbeit kämpfen. Das ist das Aufregende zurzeit am Anfang des 21. Jahrhunderts, dass wir das alles ja neu bedenken und neu diskutieren müssen.
Kröck: Aber trotzdem: Was muss passieren, dass vielleicht in einer Zeit von nur zehn Jahren Bochum und das Ruhrgebiet der interessanteste Ort der Welt sind? Was müssen wir dafür tun, dass das passiert? Sind wir vielleicht schon zu bequem geworden? Vielleicht ist es ja möglich, wenn wir ganz fundamental was umdrehen.
Was kommt nach dem Festival?
Reich: Wir werden sehen, an welcher Stelle diese Stadt dann steht. Wir sind gerne bereit, ab dem Herbst 2014 die Prozesse weiter zu begleiten und natürlich darauf zu reagieren, wie es mit den Opelanern weitergeht. Jetzt sind wir froh, dass wir nur ein Jahr geplant haben und nicht die nächsten zehn Jahre.
„DAS DETROIT-PROJEKT“ I 10.-12.10. I Schauspielhaus Bochum I 0234 33 33 55 55
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