Die 1970 in Bochum gegründete Galerie zählt von ihren ersten Ausstellungen an zu den besten Adressen für die Fluxus- und Happening-Bewegung in Deutschland. Inge Baecker präsentierte viele Vertreter konzeptueller und intermedialer Kunst zum Teil erstmalig in Deutschland. Ihre von 1972 bis 1979 im Ruhr-Park Einkaufszentrum veranstalteten sechs „Kunstwochen“ sind mittlerweile Legende, wie auch die Ausstellung „Sehen um zu hören – Objekte und Konzerte zu visueller Musik der sechziger Jahre“ im Jahr 1975 in der Kunsthalle Düsseldorf. Die aktuelle Ausstellung dokumentiert die Galerie von deren erster Ausstellung mit grafischen Werken Vostells bis zur hundertsten Ausstellung, die dem 20jährigen Bestehen der Fluxus-Bewegung gewidmet war und den Abschied Inge Baeckers aus dem Ruhrgebiet bedeutete. trailer sprach mit der Galeristin, die heute in Bad Münstereifel lebt und arbeitet.
trailer: Frau Baecker, Sie haben als Galeristin unmittelbar mit Fluxus-Kunst angefangen?
Inge Baecker: Das hängt natürlich mit Wolf Vostell zusammen. Der war Fluxus-Mann, Happening-Mann, Musiker und Maler. Wenn man es ganz genau besieht, sind viele Dinge, die er getan hat, im Sinne der Malerei geschehen. Mercedes Vostell hat das in ihrem neuen Buch sehr sauber herausgearbeitet. Vostell sah alles unter dem malerischen Gesichtspunkt. Er hat dann immer überlegt, wie kann ich das, was ich als Idee habe, in die passende Form füllen oder mit der passenden Form darstellen. Das war das Happening, das konnte aber auch eine Zeichnung sein, eine Grafik, ein Environment oder eine Skulptur. Fluxus unterscheidet sich vom Happening dadurch, dass man bei Fluxus meist davor sitzt und die Sache geschieht. Beim Happening gibt es den Betrachter nicht, da ist man immer auch Akteur. Das war auch die strikte Trennung zwischen Josef Beuys und Wolf Vostell: Beuys war immer performativ, also vorführend, während Vostell die Leute immer mit in der Aktion hatte. Das war eine ganz andere Situation, weil er wollte, dass die Leute in sich selbst die Modellhaftigkeit der Situation erkennen und selber erleben. Das hat mich bei Vostell so angezogen.
Sie haben mit Fluxus-Werken gehandelt. Die Objekte waren aber doch eigentlich funktionslose Ware?
Nicht unbedingt. Fluxus-Objekte oder Fluxus-Partituren, nehmen wir zum Beispiel die von Dick Higgins, waren durchaus dazu gemacht, auch verkaufbar zu sein. Vostell hat sowieso immer verkaufbare Sachen gemacht – Beuys noch viel, viel mehr, unendlich viele. Der Einzige, der sich wirklich entzogen hat, war Allan Kaprow, der sich das ja auch leisten konnte. Er war wohlbestallter Professor, bekam für das Happening immer ein Honorar und konnte es sich ohne Weiteres leisten, ohne verkaufbare Kunstobjekte zu leben. Darüber gab es damals auch den großen Krach zwischen ihm und Claes Oldenburg.
Aber Fluxuskunst wollte doch nie bürgerlicher Fetisch sein?
Fluxus sollte den Bürger unterwandern. Sehr wohl auch in den Wohnzimmern. Aber was heißt bürgerlicher Fetisch? Das können wir heute genau bei Beuys erleben. Beuys ist so fetischisiert, dass ich weglaufen möchte, wenn ich mir das Zeug anschaue. Ich habe keinen Beuys in der Galerie – aus gutem Grund nicht. Aber die Objekte von Robert Filliou, von Robert Watts oder Geoffrey Hendricks – die haben ja nicht irgendwas genommen und irgendwo hingeworfen. Sie haben sehr wohl designt, sie haben gestaltete Werke abgeliefert, das war nicht immer irgendwas. Insofern konnte der Bürger schon einsteigen, wenn er sich gedanklich darauf einließ.
Ist diese Ausstellung in Bochum ausschließlich aus Ihren Beständen?
Nein. Ich habe erfreulicherweise auch einiges verkauft, sonst hätte ich kaum überleben können. Bei Vostell sind die wenigsten Sachen von mir – die meisten Sachen sind von Sammlern aus Berlin und Bremen, bei Kaprow ebenso. Von mir sind rund 60 Werke. Das Museum Bochum selbst hat auch wunderschöne Arbeiten.
Warum war das Rheinland für Kunst immer wichtiger als das Ruhrgebiet?
Ich sag’ jetzt einen ganz gemeinen Satz: weil das Rheinland so katholisch ist. Und das Katholische hat einen sehr sinnlichen Aspekt. Die Kirche selber hat immer Kunst in Bewegung gesetzt und auch Kunst entstehen lassen. Nur als Beispiel: In der St. Geroldskirche, ungefähr 100 Meter von meiner Galerie entfernt, habe ich sieben Jahre lang Kunst parallel zum liturgischen Jahr gezeigt. Modernste Kunst, und das passte. Erzbischof Meisner hat es sehr wohl akzeptiert. Da war immer eine enge Verbindung zwischen Kunst und Religion. Das Ruhrgebiet ist dagegen so eine Mischgeschichte.
Fluxus gilt immer als tot – wie aktuell ist Fluxus in der Kunst heute?
Ach du liebes bisschen. Fluxus lebt überall weiter – ohne dass es Fluxus genannt wird. Es wird heute von jüngeren Künstlern in verdünnter und noch mal verdünnter und wieder verdünnter Form irgendwie auf den Markt gebracht. Wenn man sich anschaut, wie viele Künstler pro Jahr von den Akademien kommen, die eigentlich gar nicht wissen, was sie machen sollen … Da kommt nur noch, den Eindruck habe ich ganz stark, dünnstes Zeug raus. Ulrike Rosenbach, die hervorragende Videokünstlerin, wollte auf der Documenta eine Fortsetzung von Fluxus gesehen haben. Was ich bis jetzt alles von der Documenta erfahren habe – das ist der allerletzte Aufguss. Mit Ideen, die schon vor 40 Jahren aktuell waren und die einfach irgendwo mal angekommen sind. Aber so geht es nicht. Darum bin ichlieber in Ländern wie der Türkei. In Istanbul passiert was. Da gibt es auch Fluxusideen, zum Beispiel bei Serhat Kiraz, der Fluxus wirklich verarbeitet hat. Der hat eine Vision, was er den Leuten sagen will. Oder denken wir auch an die wunderbare Ausstellung von Yüksel Arslan in der Kunsthalle Düsseldorf.
Also fehlt der Nachwuchs?
Ich schaue sehr genau, wenn ich heute jüngere Künstler aufnehme. Zum Beispiel SakirGökcebag, auch ein Türke, der hat auch Fluxus verarbeitet und neue Sachen erfunden. Bei meinem ersten Kontakt zu ihm, da hatte er ein Foto gemacht von einem Durchgang in der Hamburger Kunstakademie, ein langer Gang, weiß, und am Ende war eine große Uhr, wo die Zeiten als schwarze Striche angegeben waren, und daneben ein Foto, wo die ganze Wand bedeckt war mit schwarzen Strichen. Jetzt wusste man nicht mehr, wo die Uhr ist, aber die war eben noch da. Das war gut und ich habe ihn angerufen, und er kam, und prompt musste eine Ausstellung her. Das habe ich in Köln nicht mehr geschafft, das habe ich dann in Bad Münstereifel gemacht. Ähnlich war es bei Laas Abendroth, der auch Musiker ist. Sie haben ja oben im Museum diese hundsgemeine Krippe gesehen, die heißt „Die Krippe für Arme“. Oder auch sein Kommentar zu van Gogh: Ich hatte eine große Arbeit von ihm hängen, 120 x 80 cm, schwarz und nur mit Kreide draufgeschrieben „Man hat mich zur Wiedergeburt übelst überredet“. Da weiß man genau, da sitzt ein Weltbild dahinter. Das sehe ich bei vielen jungen Künstlern nicht mehr.
„Inge Baecker Bochum – Fluxus Ruhrgebiet“ I bis 21.10. I Kunstmuseum Bochum I 0234 9 10 42 30
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