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Die Haspelstube ist der letzte noch original erhaltene Arbeitsplatz der Bochumer Zeche Lothringen. Eine Installation hat ihn völlig verwandelt
Foto: Peter Ortmann

„Realistische Bergbaubilder werden wir in Zukunft nicht zeigen“

26. Januar 2012

Ein kleiner Kunstverein im Ruhrgebiet muss sich neu orientieren – Sammlung 02/12

Der Kunstverein des Bochumer Kulturrats organisiert durchschnittlich fünf Ausstellungen im Jahr, darunter jeweils themenorientiert eine zu den Anne Frank-Kulturwochen. In den zwei Jahrzehnten auf Lothringen haben Künstlerinnen und Künstler aus rund 20 Ländern hier ausgestellt, wobei sich der Ausstellungsschwerpunkt mittlerweile auf die junge deutsche und europäische Kunstszene insbesondere im Bereich Fotografie, Video, Raum- und Klanginstallation wie auch Experimentalformen und medienübergreifende Projekte konzentriert. Durch den tragischen Tod von Kurator Christoph Kivelitz (1966-2011) war lange Zeit nicht klar, wie es mit dem kleinen Kunstverein in Bochum weitergehen soll, der sich inzwischen aus wirtschaftlichen Gründen so interessante Projekte wie die KunstSchicht oder das Dreimonats-Stipendium „artist in residence“ nicht mehr leisten kann. Da momentan weitere schwere Kürzungen bei der regionalen Kultur im Raum stehen, sprach trailer mit dem Kunsthistoriker und neuen Künstlerischen Leiter Carsten Roth.

trailer: Herr Roth, der Kunstverein Bochumer Kulturrat ist klein. Definiert er sich eher über einen Bochumer Stadtteil oder die hier verschwundene Zeche?
Carsten Roth:
Also die Zechenproblematik spielt eigentlich gar keine Rolle mehr. Es gibt zwar ein paar Devotionalien überall, die daran erinnern, doch wir begreifen Strukturwandel nicht als Nostalgie, sondern als Errichtung von etwas ganz Neuem. Ursprünglich sollte hier in dem Stadtteil, wo es sonst nichts gab, außer einer Zweigstelle der Stadtbücherei, die gerade auch geschlossen werden soll, irgendwas für die Menschen gemacht werden. Allerdings hat der Initiator Gerd Kivelitz 1988 nicht bedacht, dass hier im Grunde viel Arbeiterbevölkerung lebt, die mit Kultur eigentlich nur ganz wenig am Hut hat, dazu viele Migranten, die auch nicht hierher kommen und sich Konzerte anhören oder Ausstellungen anschauen. So ist das mit der Kultur für den Stadtteil fast ein bisschen schief gegangen. Aber ein kultureller Anziehungspunkt für ganz Bochum ist es schon geworden.

Was kann ein so kleiner Kunstverein bewirken?
Also ob er was bewirken kann, das ist die große Frage. Also man erreicht das Kunstpublikum, das sich für Ausstellungen interessiert, das Zeitung liest oder jetzt über Facebook, wo ich eine Seite eingerichtet habe. Was den Qualitätsanspruch angeht, ist der vorgegeben durch den Begriff Kunstverein, durch die Anmeldung bei diesem Dachverband der Kunstvereine, dem ADKV. Es ist das Ziel, junge Künstler auf einem möglichst hohen Niveau zu fördern und interessante Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst zu machen.

Und die Verortung in der Region?
Ich weiß nicht, wie viele Kunstvereine und Künstler es im Ruhrgebiet gibt, aber im Kulturhauptstadtjahr 2010 haben 16 Kunstvereine zum ersten Mal zusammengearbeitet. Das gemeinschaftliche Projekt hieß Grenzgebiet Ruhr. Damit waren nicht nur die einzelnen Grenzen der Städte untereinander gemeint, es ist quasi in der Region ein Grenzgebiet entstanden durch die Zuwanderung von allen möglichen Nationen. Das war die erste regionale Zusammenarbeit dieser Institutionen.

Der Kunstverein hat ungewöhnliche Ausstellungsorte. Der eine heißt Kitschbude?
Die Kitschbude ist momentan leider kein Ausstellungsort mehr. Das war ein altes Straßenbahn-Wartehäuschen am Castroper Hellweg für die Zeche Lothringen. Und das hieß Kitschbude, nicht wegen des Begriffes Kitsch, sondern weil der Besitzer Kitsch hieß. Das war ein Zechenarbeiter, der sich das Bein abgefahren hatte, und dem dann die Zechenleitung dort einen Kiosk verpachtet hat, damit er ein Auskommen hatte. Es wurde dann zum Torhaus von Bochum-Gerthe, weil das ja auch so eine tempelartige Architektur hat. Der Lichtdesigner Dennis Köhler hat dort eine Lichtinstallation gemacht, so dass es abends immer beleuchtet ist; es sollte auch für Ausstellungen dienen. Jetzt ist das ein kleiner Proberaum für Musiker, die da auch ab und zu Konzerte machen.

Und die Haspelstube?

Carsten Roth
Foto: Peter Ortmann
Carsten Roth ist Kunsthistoriker und lebt in Bochum. Er studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Archäologie an der Ruhr-Universität Bochum und machte 1993 seinen Magister Artium in Kunstgeschichte. Von 1996 bis 1998 war er Redakteur und Autor des dreibändigen „Lexikon der Düsseldorfer Malerschule“ (Bruckmann-Verlag München), bis heute hat er über 200 biographische Artikel für das „Allgemeine Künstler-Lexikon“ (Verlag Saur), daneben kunsthistorische Aufsätze für Bücher und Ausstellungskataloge geschrieben. Seit Mai 2011 ist er Künstlerischer Leiter des Kunstverein Bochumer Kulturrat e.V.

Die Haspelstube ist der letzte noch original erhaltene Arbeitsplatz der Zeche Lothringen, er steht unter Denkmalschutz und zeigt das alte Ambiente. Den Stuhl, wo damals jemand drauf gesessen hat, eine alte Ölkanne, so eine Winde von der Decke, die Haspel, die in den Wetterschacht runterführte; die musste dann mehrmals am Tag bedient werden. Der Platz ist immer noch ein bisschen gesichert, denn da wird noch Grubengas abgesaugt, das wird wöchentlich kontrolliert von „Ruhrkohle“-Mitarbeitern. Dieser Ort wird vom Kunstverein für Rauminstallationen genutzt. Momentan ist da dauerhaft Monika Ortmann mit dem Netz 152 HS zu sehen. Die habe ich bei der Ausstellung des Bochumer Künstlerbundes 2011 angesprochen, ob sie nicht auch in der Haspelstube was machen möchte. Gerade bei ihrer Art von Arbeit mit installativen Netzwerken aus Fäden und gewobenen Kugeln bietet sich das an. Bei ihrer Arbeit mit Textilien und den Prozessen von Weben und Spinnen passt dieser Haspelbegriff gerade zu ihrem Oeuvre. Also hab ich ihr vorgeschlagen, die Haspelstube zu benutzen, und sie hat ihr work in progress-Netzwerk, das sie durchnummeriert seit den 1970ern, eben auch dort eingerichtet. Sie ist hier drei Tage rumgekrochen und hat ihre roten Kugeln, ihre Garnknäuel aufgehängt und dann die ganze Stube im Keller noch mit dem roten Wollgarn versponnen, so dass der ehemalige Arbeitsplatz jetzt aussieht wie eine surreale Welt, ein Kunstwerk, das in diese reale dreckige, krasse Arbeitswelt so gar nicht reinpasst und dennoch dem Ganzen eine andere Metaebene verleiht.

Die aktuelle Foto-Ausstellung hat viel mit der Region zu tun, ist das immer so?
Nein.

Und der zukünftige Anspruch?
Schon als Christoph Kivelitz nach seiner Arbeit bei den Kunstvereinen in Hannover und Dortmund hier als Kurator gearbeitet hat, hat er eigentlich eher Künstler aus Köln und Düsseldorf geholt und natürlich junge Leute. Bei mir wird das genauso weitergehen. Der nächste Künstler kommt aus Berlin, dann kommt eine junge Künstlerin aus Köln, eine aus Stuttgart und eine Deutschrussin. Mit der Region hat das erst einmal gar nichts zu tun. Bestenfalls als peripherer Aspekt. Elisabeth Beregow stammt aus Russland, ist im sozialistischen Realismus aufgewachsen, war da Architektin und hat noch ein Kunststudium in Dortmund angefangen und ist jetzt mit 45 Jahren fertig. Sie interessiert sich für die Welt der Arbeit. Überhaupt und durch ihre Prägung im Sozialismus, deshalb macht sie Zeichnungen von arbeitenden Menschen, und das ist dann vielleicht etwas, was mit dieser Region zu tun haben könnte. Sandra Zarth aus Köln kommt im Mai und wird eine Installation im großen Galerieraum machen, die von der Decke bis zum Boden geht und dabei die Decke und den Keller zu durchdringen scheint, als würde die Installation zwei Stockwerke durchdringen. Auch das ist ein mittelbarer Hinweis auf die alte Bergwergstradition hier vor Ort. Es gibt also immer wieder Künstler, die diesen Ort kennenlernen und dann das Thema Arbeit und Bergbau in ihre Arbeit einfließen lassen, aber ganz abstrakt. Realistische Bergbaufiguren oder -bilder werden wir in Zukunft nicht zeigen.

Kunstverein des Bochumer Kulturrat e.V. I Lothringer Str. 36c I Bochum

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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