Im oberen Stockwerk des Emil Schumacher Museums ist alles in Bewegung. Die Blickachsen wechseln schlagartig, der Betrachter ist von allen Seiten von Bildern umfangen, läuft durch Passagen und trifft auf weitere, sich ergänzende Bilder. Was bei anderen Künstlern und anderen Werken des Guten zu viel wäre: Bei K. R. H. Sonderborg, dem aus Dänemark stammenden, selbst so wortkargen Künstler, funktioniert es. Seine Bilder verzichten auf eine starke Farbigkeit, der weiße Grund nimmt einen großen Teil des Geschehens ein, die Bildformate sind moderat – auch deshalb, weil Sonderborg die Farbe mit vollem Körpereinsatz regelrecht hingeschleudert hat.
Die Bilder leben aus dem harten Kontrast der schwarzen Farbbahnen und -flächen zum weißen Grund. Zugleich sind der Strich und der kreiselnde Sog durch Rhythmus und den Bruch mit diesem, durch Heftigkeit ebenso wie durch Stille gekennzeichnet. Diese Malerei, die ebenso als Zeichnung zu verstehen ist, besitzt eine eruptive Musikalität, dem Jazz im Allgemeinen nicht unähnlich und geprägt vom Bebop, den K. R. H. Sonderborg (1923-2008) vor dem Krieg im Nazi-Hamburg im Habitus des Angelsachsen in einer Band gespielt hat. Das Aufrührerische, das er in diesen Jahren mit Gefängnishaft bezahlen musste, kennzeichnet seine Kunst lebenslang ebenso wie dann die abstrakte Expressivität, die in Deutschland unter dem Begriff Informel zusammengefasst wurde. Sie gilt auch für Emil Schumacher, den „Hausherrn“ in Hagen. Gemeinsam ist beiden Künstlern – bei aller Verschiedenheit – das Beharrliche der harten Linie, die geradezu durch die Bildfläche schneidet, und das Kosmopolitische als künstlerischer Aufbruch nach dem Zweiten Weltkrieg. Sonderborg fand die Internationalität in den damaligen Zentren der Avantgarde, in Paris und New York. Wortwörtlich ist der Blick aus dem weit geöffneten Fenster, er deutet sich in mehreren, vertikal gegliederten Bildern der Hagener Retrospektive an.
Der Blick von Sonderborg bleibt auf periphere Phänomene gerichtet, die symptomatisch für den Fortschritt seiner Zeit sind: Er fokussiert wie im Gegenlicht die Oberleitungen in Chicago und in Kopenhagen, rekapituliert Reifenspuren im weißen Schnee und schichtet Streifen schwarzer Farbe, so dass sie ein Maschinengewehr ergeben: Auch eine solche Papierarbeit, die Sonderborg später als Wandmalerei in der Kunsthalle Baden-Baden umgesetzt hat, ist in der Ausstellung zu sehen. Sie zeigt weiterhin die tiefschwarzen Flächen, die von abstrahierten Figuren ausgehen (noch mit Bezug auf die RAF-Zeit, die Sonderborg als Professor an der Kunstakademie Stuttgart erlebt hat), sowie die ganz abstrakten Malereien mit Eitempera auf Fotopapier, die nun auch rote Farbe in Schwüngen hinzufügen und mit dem Rakel im filigranen Stakkato strukturiert sind. Vor allem tragen sie die Gleichzeitigkeit von Chaos und Form in sich und vergegenwärtigen das enorme Tempo ihrer Entstehung, auf das sich Sonderborg freilich in tagelanger meditativer Versenkung vorbereitet hat. Also bitte nicht täuschen lassen: Was so schnell zu sehen scheint, ist hochkomplex und verdient ausführliche Betrachtung. Wie gut, dass es diese Ausstellung gibt!
K. R. H. Sonderborg – Bilder von Zeit und Raum | bis 9.2. | Emil Schumacher Museum Hagen | 02331 207 31 38
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Auf Fautrier muss man sich einlassen“
Direktor Rouven Lotz über „Jean Fautrier – Genie und Rebell“ im Emil Schumacher Museum Hagen – Sammlung 07/24
Der Reiz von Stahl
Daheim: Utz Brocksieper im Emil Schumacher Museum in Hagen – kunst & gut 05/24
Auf und mit der Oberfläche
Wilhelm Wessel im Emil Schumacher Museum in Hagen – kunst & gut 02/24
Regeln der Kunst
Die Sammlung des Josef Albers Museum Quadrat Bottrop zu Gast in Hagen – kunst & gut 01/22
Spiel der Farben
Fritz Winter im Emil Schumacher Museum in Hagen – kunst & gut 12/20
Stille Avantgarde
Heinrich Brocksieper in Hagen – Ruhrkunst 06/19
Unruhe, gebändigt
Gerhard Hoehme in Hagen – Ruhrkunst 12/18
Im Aufbruch
Peter Brüning in Hagen – Ruhrkunst 01/18
Keine alte Geschichte
Der Gilgamesch-Epos in Hagen – Ruhrkunst 02/17
Geister aus der Farbe
Karel Appel im Emil Schumacher Museum in Hagen – kunst & gut 10/16
Regeln zur Malerei
Zdeněk Sýkora in Hagen – RuhrKunst 10/15
Künstler am Montmartre
Henri de Toulouse-Lautrec in Hagen – RuhrKunst 01/15
Aus zwei Sammlungen
Das frühe 20. Jahrhundert im Kunstmuseum Mülheim – kunst & gut 11/24
Hinter Samtvorhängen
Silke Schönfeld im Dortmunder U – Ruhrkunst 11/24
Keine falsche Lesart
Ree Morton und Natalie Häusler im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 11/24
„Mangas sind bei der jungen Leserschaft die Zukunft“
Leiter Alain Bieber über „Superheroes“ im NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 11/24
Der Künstler als Vermittler
Frank van Hemert in der Otmar Alt Stiftung in Hamm-Norddinker – kunst & gut 10/24
Gelb mit schwarzem Humor
„Simpsons“-Jubiläumschau in Dortmund – Ruhrkunst 10/24
„Weibliche und globale Perspektiven einbeziehen“
Direktorin Regina Selter über „Tell these people who I am“ im Dortmunder Museum Ostwall – Sammlung 10/24
Die Drei aus Bochum
CityArtists in der Wasserburg Kemnade – Ruhrkunst 09/24
„Jeder Besuch ist maßgeschneidert“
Britta Peters von Urbane Künste Ruhr über die Grand Snail Tour durch das Ruhrgebiet – Sammlung 09/24
Orte mit Bedeutung
Zur Ruhrtriennale: Berlinde De Bruyckere in Bochum – kunst & gut 09/24
Denkinseln im Salzlager
Osteuropäische Utopien in Essen – Ruhrkunst 08/24
Ausgezeichnet auf Papier
Günter Drebusch-Preis 2023 in Witten – Ruhrkunst 08/24
Räume und Zeiten
Eindrucksvoll: Theresa Weber im Kunstmuseum Bochum – kunst & gut 08/24