„Visitor Q“ ist der kontroverse Film des japani- schen Regisseurs Takashi Miike, in dem den Zuschauern/Voyeuren eine Familie am Abgrund präsentiert wird: inzestuöse Beziehungen, Ne- krophilie, Gewalt, Drogen, Prostitution und ein Vater, der diesen bizarren Verfall der bürgerlichen Werte mit der Kamera dokumentiert, um seiner Karriere als Fernsehproduzent auf die Sprünge zu helfen.
In den Zentren der Macht geht es nur scheinbar nobel zu. Kälte, wo Wärme sein sollte. Schmucklosigkeit, wo eigentlich Prachtvolles vermutet würde. Ein Tisch, ein wenig Obst, ab und an mal eine Zigarette. Geschäftsmäßig sehen die Räume aus, in denen die Mächtigen agieren.
Die Versuchsanordnung im Dortmunder Studio ist einfach. Zwei milchige Räume. Ein CD-Spieler. Eine Videoleinwand. Kamera. Beamer. Mikrophone. Zwei Schauspieler, die scheinbar um ihr Leben spielen, oder es längst verspielt haben. Einen DJ, wie vom Autor Iwan Wyrypajew vorgesehen, brauchen sie längst nicht. Sie ringen bereits um Sauerstoff, um Drogen, Sein und Schein, Logik und Abstrusitäten des Lebens. „Also raucht lieber Gras, esst Äpfel und trinkt Saft als besoffen vor dem Fernseher rumzuhängen“. So schreibt der russische Dramatiker aus dem Moskauer Underground, aber es passt wohl auf alle dekadenten westlichen Gesellschaften. Und das macht sein Stück „Sauerstoff“ seit 2004 zu einem Renner auf den europäischen Bühnen.
Außenseiter haben immer ein schwieriges Leben. Die Gesellschaft schiebt sie an den Rand, grenzt sich von ihnen ab, weil sie anders sind, nonkonform, latent gefährlich für Ordnung, Besitzstand und Ideologie. Das ist in der Jugendkultur schon einmal kultiviert worden, als die Hippies zu Werbeträgern ganzer Branchen konvertiert wurden.
Persönliche Fürwörter haben was für sich. Insbesondere wenn es im Theater um die Hauptpersonen eines Stückes geht. Zuerst geht es dafür im Februar nach Bochum, wo die „Parzival“-Version des Schweizer Theaterschreibers Lukas Bärfuß Premiere hat. Der hat den ollen Schinken fürs Theater in Hannover auf Vordermann gebracht. In Hagen kämpft Norbert Hilchenbach mit der Multikulti-Zweiakt-Oper „Gegen die Wand“ und Ulrich Greb in Moers mit der bösen „unsichtbaren Hand“, die alles steuert.
Als die Macher von RUHR.2010 im Dezember Bilanz zogen, war ihr Resumee bis auf die Katastrophe bei der Loveparade in Duisburg positiv. Mehr als 10 Millionen Besucher, das Ruhrgebiet als Kulturraum, Kooperationen der Städte, Stärkung der Ruhrmetropolen-Identität waren die Stichworte. Doch was hat RUHR.2010 eigentlich einem Theater wie dem in Oberhausen und seinem Intendanten Peter Carp gebracht?
Ehemalige unter sich – selbst zehn Jahre nach dem Abitur haben sich die alten Schulrituale erhalten. Das pubertäre Begrüßungsritual zweier Jungs; das Wer-sitzt-neben-Wem der Mädchen. Hinzugekommen sind die Polster an all den Problemzonen des Erwachsenseins. Fast sichtbar wachsen den sechs Schauspielern im Bochumer Theater unten die fleischfarbenen Ungetüme an Hüfte, Bauch und Po und machen die verstreichenden Jahrzehnte kenntlich.
Doch die Problemzonen, die Jan Neumanns neues Stück „Hochstapeln“ schildert, liegen woanders.
Hinein ins neue Jahr 2011, das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen mit den Marginalien der Kultur. Dennoch dürfen im Ruhrgebiet die reichlich abgesessenen Theatersessel nicht leer bleiben, brauchen sie auch nicht. Die interessanten Inszenierungen der Möchtegern-Metropole gehen einfach weiter: In Essen finden wir uns bereits im Januar im Jahr 2525 wieder (kein Zufall: Das war 1969 ein böser Zager- und Evans-Hit). Warum erklärt die Rückblick-Story: Das Grillo-Theater und seine Umgebung wurden nämlich im Januar 2011 komplett zerstört.
Filipa ist eine Prinzessin. Genau wie man sie sich vorstellt. Mit Pluderhose, Stiefeln und einem etwas engen Jäckchen. Gerade liegt sie auf einem merkwürdigen Wägelchen und schläft, genießt ihre Freiheit in Filipanien – bis ihre Eltern kommen.
Das be- und verzaubernde Illusionstheater entsteht durch ein effektvolles Bühnenbild (Jan Steigert), bei dem Nebelschwaden zum Meeresrauschen werden und Leinwände eine verwunschene Unterwassertraumwelt auferstehen lassen, selbst ein schnöder Umbau wird zum Hingucker.
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 01/25
Brautkleid aus reinster Haut
„Subcutis“ in Mülheim a. d. Ruhr und Köln – Theater Ruhr 01/24
Trance durch Kunst
Die Reihe Rausch 2 in Mülheim a.d. Ruhr – Theater Ruhr 11/23
Brecht im Discounter
„Der gute Mensch von Sezuan“ am Grillo-Theater in Essen – Theater Ruhr 10/23
Bretter der Kulturindustrie
„Das Kapital: Das Musical“ im Schauspiel Dortmund – Theater Ruhr 10/23
Siehst du, das ist das Leben
„Der erste fiese Typ“ in Bochum – Theater Ruhr 06/23
Der gefährliche Riss in der Psyche
„Die tonight, live forever oder das Prinzip Nosferatu“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 04/22
Unberührbare Souveränität
Frank Wedekinds „Lulu“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 03/20
Totenmesse fürs Malochertum
„After Work“ in den Bochumer Kammerspielen – Theater Ruhr 02/20
Gespenstisches Raunen
Die Performance „Geister“ am Schauspielhaus Bochum – Theater Ruhr 02/20
Drei wilde C´s im Schnee
„After Midnight“ im Essener Grillo – Theater Ruhr 02/20
Von Büchern überschüttet
„Sokrates der Überlebende / Wie die Blätter“ in Mülheim – Theater Ruhr 02/20
Tragödie mit Diskokugel
Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ in Oberhausen – Theater Ruhr 01/20
Ein hochemotionaler Spiegel
Khaled Hasseinis „Drachenläufer“ in Castrop-Rauxel – Theater Ruhr 01/20
Donna Quichotta der Best Ager
„Linda“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater Ruhr 01/20
Spiegelei, Toast und Tier
„Das Reich der Tiere“ am Theater Dortmund – Theater Ruhr 12/19
Heute geht es auch ohne Brandbeschleuniger
„Biedermann und die Brandstifter“ in Essen – Theater Ruhr 11/19
Desinfiziert und doch tot
„Die Pest“ in Moers – Theater Ruhr 11/19
Wenn Datenberge erodiert sind
„Identität“ in Dortmund – Theater Ruhr 11/19
Biografisches Sightseeing
Babett Grube inszeniert „Alles ist wahr“ in Oberhausen – Theater Ruhr 11/19
Amouröse Programmierung
„Ein Sommernachtstraum“ am Theater Oberhausen – Theater Ruhr 07/19
Mit Drogen locker durchs Leben
Huxleys „Schöne neue Welt“ in Bochum – Theater Ruhr 07/19
Aufm Arbeitsamt wird gesabbert
„Willems wilde Welt“ von theater glassbooth – Theater Ruhr 07/19
Morden als Maloche
Harold Pinters „Der Stumme Diener“ in Essen – Theater Ruhr 06/19
Schaut wie die Kirschbäume fallen
„Der Kirschgarten“ in Essen – Theater Ruhr 06/19